Dienstag, 3. April 2012

Neue Welt - alles besser heute?

Aus meinen Boxen klingt Leonard Cohen mit I'm your man... Er will alles für mich machen, singt er, mein Lover sein, sich für mich maskieren, mir die Hand reichen, wenn ich ihn als Partner will und liesse sich sogar aus Wut niederstrecken. Das klingt gut - überhaupt klingt das Lied gut. Diese Stimme, diese dahin schlendernde Musik, dieser Rhythmus, der einen mitwippen lässt, ein tolles Lied, tief, voller Gefühl und doch mit einer gewissen Leichtigkeit. Wenn ich da an die heutige Musik denke, wird mir ganz anders. Retortenmist gesungen von hergerichteten, auf Optik und Image getrimmten Sternchen am Himmel des Starrummels.

Ich stelle mir vor, wie Leonard Cohen vor Dieter Bohlen tritt, um beim Superstar mitzumachen. Wie er seine Gitarre nimmt, auf den Stuhl sitzt, anfängt zu singen. Eher ein Brummeln als ein Singen eigentlich, wenn ich genau hinhöre. Ob der in den Recall käme? Ob nicht die Höhen zu unsauber gesungen wären? Die Töne nicht exakt getroffen? Die Stimme nicht tragfähig genug, der ganze Mann nicht Mainstream genug wäre? Und wenn er die Hürde noch schaffen würde, dann in die Castingshows käme und Whithney Housten oder Abba singen müsste? Ob er nicht spätestens da rausfiele? Ich stelle mir Leonard vor, wie er einen Disco Mix sänge, tanzte dazu... und sehe ihn spätestens da rausfliegen. Da würden auch keine nett zusammengeschnittenen Stories über eine wilde Jugend, Drogen und dergleichen helfen, um den Mitleidsbonus zu kriegen.

Und dann? Was wäre dann? Gewinnen würde ein fahles Licht, das einigermassen richtig verschiedene Liedchen nachträllern kann. Diesem Lichtchen würde ein Image aufgepeppt, das in die neue Bravo passt, und fertig ist der neue Musikstar. Und nie würden wir Lieder wie "I'm yor Man" hören.

Schade eigentlich. Zum Glück haben sich die alten gehalten, so dass ich die neuen getrost an mir vorbeisausen lassen kann. Und dann und wann findet sich auch heute eine Perle. Und schliesslich und endlich ist der Musikgeschmack verschieden, was auch gut ist. Und mit diesen Gedanken gehe ich wieder mit Leonard mitbrummeln, stelle mir dabei Elvis, die Beatles und Joe Cocker vor der Jury vor und finde, dass meine Tage doch recht abwechslungsreich und weit fassend sind, spannt man den Bogen von Goethe über Leonard Cohen zu Dieter Bohlen. Was würde Bohlen wohl zu Beethoven sagen?

4 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Casting Shows haben nichts mit Musik zu tun, mehr mit einer speziellen Form des Fernsehens.
Dazu ist schon sehr viel gesagt worden und da muss ich nicht auch noch meinen Senf dazu geben.
Aber als Musiker wehre ich mich dagegen, diesen Shows das Attribut "Musik" beizumengen. Dort wird, wie Du auch bemerkt hast, Musik zerstört. Es geht nicht darum, ein Talent zu finden und zu fördern, es geht auch nicht um Ausbildung - es geht nur um den Show-Effekt, wenn sich aufmerksamkeitsgeile Möchtegern-Stars produzieren und der Lächerlichkeit preisgeben.

Über Leonard Cohens musikalische Fähigkeiten ist übrigens auch schon vor Jahrzehnten geschmunzelt worden. In seinem Selbstverständnis war und ist er wohl auch eher ein Poet als ein Sänger (und dafür hat er doch einige musikalisch sehr beachtenswerte Stücke geschrieben).

Cosima hat gesagt…

Er hat ja auch Bücher geschrieben, was viele nicht wissen.

Die Frage ist: was ist Musik? Und wer bestimmt das? Ist das für jeden etwas anderes, ist gute Musik vom Geschmack abhängig oder aber von objektiven Kriterien?

Eine Stufe höher ginge es dahin: Was ist Kunst? Da scheiden sich die Geister auch, sei es bei der Literatur, bei der Malerei... und über die Funktion der Kunst haben sich schon viele die Köpfe zerbrochen, Schiller hat ein schönes Bild gezeichnet von der Kunst als Spielfeld für das Leben. Aber auch viele andere Funktionen wurden ihr beigemengt. Die Frage ist: ist Kunst erst Kunst, wenn sie diese Funktionen erfüllt, entsteht sie im Hinblick auf diese Funktion oder aber hat sie diese durch ihre Existenz?

Thomas hat gesagt…

Kunst ist ein Attribut, das mehr oder weniger willkürlich verliehen wird. Da war man in früheren Zeiten weniger affektiert und hat als Künstler jemand bezeichnet, der es eben besonders gut konnte.
Und da in diesen Zeiten auch das genialische nicht im Vordergrund stand war es in der Regel nicht strittig, wer Künstler war oder nicht.
Ich bin in dieser Beziehung nicht ganz Wittgensteins Meinung der meinte "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache". Beim Begriff Kunst oder Künstler weicht der Gebrauch von der Semantik ab. Also: Wir verbinden mit dem Begriff viel, was aber nicht durch den Gebrauch erfüllt wird. Kann Lady Gaga singen? Sie ist erfolgreich, aber ist sie eine gute Sängerin? Ich denke, da gibt Pirsig in seinem "Zen or the art of motorcycle maintanance" aufschlussreicher Antwort. Wenn man Lady Gaga einem wirklich guten Sänger gegenüberstellt werden die meisten, die nicht total verbohrt sind zugeben, dass der wirklich gute Sänger besser ist, aber den Hinweis anzubringen versuchen, dass ihnen Lady Gaga besser gefällt. Hier geht es um Qualitäten (im philosophischen Sinn als "nicht quantifizierbar").

Im Fall von DSDS and the likes geht es aber gar nicht um Musik. Das ist das, worauf ich mit meinem Kommentar hinauswollte.
Es geht nicht einmal um Kreativität oder einen gekonnten Vortrag – es geht letzten Endes um die Demütigung derer, die herausfliegen. Darum wird die Sendung geschaut. Und ähnlich den Fussballfans fiebern die Fans der einzelnen Kandidaten mit ihrem Favoriten darum, dass ihm oder ihr die Peinlichkeiten erspart bleiben – was aber natürlich nicht der Fall ist.

Zu Deiner Eingangsfrage zu meinem Kommentar:
Die Frage, was Musik ist, hat John Cage mit seinem 4′33″ konterkariert. Das ist ein Stück, welches nur aus Pausen besteht. Die Pause gehört zur Musik, aber es sind die Töne, die Musik ausmachen.
Schönberg hat Hubschrauber in seine Konzerte integriert – getreu der Wortbedeutung, wonach eine Komposition „Tonsatz“ ist. Das ist originell und man kann es mit einigem Recht „Musik“ nennen. Ob es aber „Gute“ Musik ist oder „Kunst“ ist eine andere Frage.

Ich denke, um das zu untersuchen müsste man Sokrates Frage nach dem „Wesen der Musik“ versuchen zu beantworten. Und in einem zweiten Schritt könnte man die der Musik immanenten Qualitäten untersuchen. Das zu beantworten würde hier nun wahrscheinlich zu weit führen.

Thomas hat gesagt…

Korrektur: Das Helikopterkonzert, das ich im Sinn hatte ist von Stockhausen nicht von Schönberg