Sonntag, 20. Mai 2012

Wer bin ich?

Wer bin ich eigentlich? Ich frage nach und höre in mich. Was macht mich aus? Was ist mein Kern? Mein Ich? Lange hätte ich gesagt, ich bin Studentin, wenn ich gefragt wurde. Ich identifizierte mich mit meinem Studium, liebte dieses Leben, das Forschen, das Lernen, das Leben an der Uni, meine Bücher, meine Arbeiten. Ich liebte die Kreativität, die in diesem Leben Platz hatte, die damals noch grosse Selbstbestimmtheit des Studiums. Ich habe mein Studium zelebriert, gelebt, ausgekostet. In allen Winkeln, Facetten. Hätte mir gewünscht, es würde nie enden. Der erste Schnitt kam mit der Geburt meines Sohnes. Zwar war ich immer noch im Studium, doch dieses war nicht mehr ganz so frei und kreativ, sondern ein Organisieren um die Bedürfnisse eines Kleinstkindes herum. Der zweite Bruch war rigoroser: Das Studium war irgendwann (böse Zungen meinten endlich) fertig - leider möchte ich fast sagen. Denn mit dem Studium fiel unglaublich viel Lebensinhalt weg. Es fiel Selbstverstädnis weg. Es fiel weg, was ich bislang als Konstante durch mein Leben trug. Zurück blieben Fragezeichen: Wie weiter?

Ich hatte Glück, ich konnte weiter machen. Mich wieder in Bücherberge versenken. Wieder lesen, schreiben, forschen. War irgendwie immer noch Studentin, einfach nun eine Stufe weiter. Zwar war es nicht nur Kreativität und Wohlgefallen, sondern sehr viel Kraft, Energie, Stress, Druck, Überforderung auch. Tagsüber Kleinkind, nachts Wissenschaft forderte ihren Tribut. Aber ich war dankbar. Und fühlte mich ganz eins mit dem, was ich tat. Das war ICH. Doch auch das nahm ein Ende. Ich wurde wieder fertig. Zwar ein Erfolg und ich bin dankbar dafür und stolz darauf. Aber wo blieb nun das ICH? Dessen Inhalt?

Ich bin Mutter. Das werde ich bleiben, keine Frage. Doch was, wenn mein Kind auszieht? Dann ist das Muttersein wohl nicht mehr so präsent und mein Leben nicht mehr so stark dadurch geprägt, wie es das jetzt ist - situationsbedingt. Auch das Muttersein scheint eine Rolle in meinem Leben zu sein, ein Teil davon, aber nicht das Ich.

Und bei all dem ständigen Wegfallen, wo doch das Ich zurück bleibt, fragt man sich, was genau dieses Ich ist. Und merkt auch immer wieder, dass es nicht leicht ist, das wirklich zu sagen und frei zu bestimmen. Denn neben all den eigenen Bildern, die man von sich hat, den eigenen Wünschen, wie man das Leben leben möchte, stösst man immer auch an Forderungen und Bilder der Gesellschaft, der Aussenwelt. Merkt, mit welchen Schubladen, Urteilen und Kategorien gehandelt wird und sucht den Platz, der zu einem passt. Immer wieder denkt man, dass man einfach ist, wie man ist, den eigenen Wegen folgt, unabhängig davon, was andere denken, sagen, wollen. Man sieht sich mit dem eigenen Leben konfrontiert und weiss, dass man es schlussendlich sowieso alleine und selber leben muss. Wieso also auf andere hören, sich anderen anpassen? Doch dann sieht man sich konfrontiert mit der Aussenwelt und merkt, dass das gar nicht immer so einfach ist, weil man schnell in einer Position ist, sich rechtfertigen zu müssen.

Auf der einen Seite stehen die, welche finden: Mach was Gescheites aus deinem Leben, ordne dich in die Gesellschaft, in die Wirtschaft ein. Auf der anderen Seite die, welche alle so Denkenden als Kapitalisten und Spiesser abtun. Und mittendrin eine ganze Horde Menschen, die ihre eigenen kleinen Bilder und Schubladen lauthals vertreten. Und irgendwo man selber. Und wenn man nicht per se der einen oder anderen Schublade zugehört und fleissig mitbrüllt, kann der Lärm ziemlich ohrenbeträubend sein.

Grundsätzlich weiss ich, was ich will. Weiss auch, wo ich hin will. Was ich tun will. Was mein Leben ist. Ab und an ertappe ich mich dabei, all den Stimmen zuzuhören, den inneren wie äusseren und zu denken: Ich müsste doch...mich anpassen, andere Wege gehen. Denke, sie könnten recht haben, sie sind laut. Und wer laut ruft, muss doch überzeugt sein von dem, was er sagt. Sonst würde er leise flüstern. Ich entwickle Aktivismus, versuche, den Stimmen zu folgen, meine Wege zu verlassen, anzupassen, neu zu orientieren. Ich will doch dazu gehören. Nicht alleine stehen und gegen Stimmen kämpfen. In einer Schublade ist es geschützt und sicher. Man hat Wände, die Halt geben, einen Boden, der stützt. Man ist in Gesellschaft. Nicht allein. Weiss, wer man ist, was man ist. Bis - ja bis: die Schublade rausgezogen wird, weil das Kind ausfliegt, das Studium zu Ende geht oder man Platzangst kriegt. Und oft hat man von Anfang an Platzangst und traut sich nicht aus der Schublade raus, sitzt drin und lebt mit dem beklemmenden Gefühl. Vielleicht gewöhnt man sich sogar daran.

Ich habe beschlossen, es mal mit Ohrstöpseln zu versuchen. Das hilft gegen die Stimmen von aussen. Die von innen behalte ich, denn ab und an mag ich sie sogar. Sie haben mir grad diktiert.

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