Mittwoch, 23. Mai 2012

Tränen, Neid und andere Leiden

Heute kam der Spross von Cosima nicht wie sonst fröhlich heim, statt des beschwingten "Hallo" klang ein wenigerliches Brummeln von der Tür. Besorgt stürmte ich ihm entgegen, dachte schon, was alles Arges mit dem armen Kind passiert ist, sah ihn schon im Geiste mit blauen Augen, verprügelt von grobschlächtigen, bösen Halbstarken vor mir stehen. Er war unversehrt. Auf die Frage, was denn los sei, kriegte ich mit tränenerstickter Stimme zu hören, er hätte eine schlechte Note gekriegt. Nun gut, ich malte mir 2er und 1er aus, tröstete das Kind, das könne mal passieren, davon gehe die Welt nicht unter, um zu sehen, dass es soooo schlecht gar nicht war, einfach keine Superleistung. Wieso also die Tränen? Andere wären besser gewesen, meinte das traurige Kind. Während ich froh war, dass er in einem Fach, in welchem er bis vor kurzem Mühe hatte, eine gute, nicht bahnbrechende, aber gute Note schaffte, war er traurig, weil er im Vergleich mit anderen unterlag. Das machte mich traurig.

Wie oft machen wir uns das Leben schwer, weil wir uns nach aussen vergleichen. Der sicherste Weg ins Unglück ist gerade dieser Vergleich. Klar kann es anspornen, zu sehen, dass andere besser sind, klar kann es motivieren, dem nachzueifern. Wenn der Vergleich aber dazu führt, das selber Erreichte nicht mehr wertzuschätzen, sich schlecht und klein zu fühlen, dann ist der Vergleich nicht gut. Ich erklärte dem Filius, dass jeder Mensch Möglichkeiten hat. Einer mehr, der andere weniger. Wichtig ist es, diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Wenn ich das tue, was in meinen Möglichkeiten liegt, und die Leistung erbringe, die mir möglich ist, dann ist das gut. Und ich kann zufrieden sein. Ein anderer hat vielleicht andere Möglichkeiten. Super. Meine Möglichkeiten werden aber nicht mehr, nur weil der andere mehr davon hat. Sie genügen nur mir selber nicht mehr.

Ich kenne Selbstzweifel auch - wer nicht. Kenne vor allem auch das Gefühl, nicht zu genügen, nicht schön/klug/sportlich/beliebt genug zu sein.  Und durch das ständige Hochhalten des Gefühls übersah ich oft, was ich eigentlich alles hatte. Und was gut war. Und toll war. Und worüber ich hätte dankbar sein können. Ich übersah, dass ich gar nicht perfekt sein muss und doch genüge. Dass ich gar nicht alles können muss und doch genug kann. Das zu realisieren war ein sehr befreiendes Gefühl, weil es Ruhe brachte.

Auch bei Erwachsenen ist das ständige Schielen zum andern und was dieser hat weit verbreitet. Es könnte ja sein, dass der andere irgendwo übervorteilt ist. Es könnte ja sein, dass man selber zu kurz kommt. Dass der andere mehr hat, was einen schliessen läst, dass man selber zu wenig haben muss.  Frauen können das zur Perfektion treiben. Mit einem prüfenden Blick von oben nach unten und von unten nach oben. Was hat sie, was ich nicht habe. Und hat sie was, greift man in die Trickkiste. Und hat sie nichts, lächelt man triumphierend. Schade nur, dass der Triumph tief innen nichts zählt. Weil man sich in diesem Vergleich immer minderwertig fühlen wird. Weil man nie die andere abwertet damit, sondern sich selber. Wäre man mit sich zufrieden, hätte man es nicht nötig. Dann könnte man dem anderen Menschen lassen, was ihm ist und selber  mit dem eigenen zufrieden sein. Man würde sich nicht mehr schlecht fühlen im Vergleich, sondern sich miteinander freuen. Ohne Neid. Man würde nicht mehr nach aussen demonstrieren wollen, wie toll man doch ist, nur um nicht die eigenen Zweifel zu laut werden zu lassen. Ohne zu merken, dass sie gerade so immer lauter werden und es nur diejenigen da draussen schert, die genauso verzweifelt versuchen, ihre eigenen Zweifel klein zu halten. Aber vielleicht lernt das mancher nie, reicht ein Leben nicht aus. Mein Filius hat noch gute Chancen, er ist noch Hänschen, noch nicht Hans. Ich wünsch' es ihm!

1 Kommentar:

Thomas hat gesagt…

Ich finde den „Vergleich nach Aussen“ generell schädlich. Wir sind nun mal einzigartig. Jeder Mensch ist ein Unikat, es gab nie jemanden Gleiches und wird auch nie jemanden geben, der gleich ist. Warum sollte man also nicht Vergleichbares vergleichen wollen?
Dieser Wahn, den Vergleich zu suchen offenbart doch nur das Minderwertigkeitsgefühl derer, die den Vergleich suchen. Ausserdem beruht es auf dem Irrtum, es gäbe so etwas wie einen Standard, dem man meint, mindestens entsprechen zu müssen. Besser noch, ihn zu übertreffen. Was für ein Dünnsinn! Ich bilde mir ein, daran ist teilweise die Werbung schuld, die uns über BMI, Lebensstandard und viele andere wertende Kunstbegriffe einredet, es gäbe so etwas wie einen Standard.
Wenn ich 5 Kilo mehr wiege und 1000 Franken weniger verdiene kann ich also nicht mehr glücklich leben? Wenn ich als Frau nicht mindestens Körbchengrösse x und einen BMI von 15 habe bin ich nicht mehr attraktiv? Wenn ich als Mann die Sixpacks lieber trinke als sie am Bauch zu haben bin ich nicht mehr attraktiv?
Davon abgesehen sind einige der Begriffe pure Propaganda: Die Gleichsetzung Sport = Gesund zum Beispiel. Natürlich ist es *in Grenzen* gesund, Sport zu treiben. Aber die Gleichsetzung ist schlicht und ergreifend falsch. Nicht nur wegen der vielen Sportunfälle, auch wegen der dauerhaften Schäden, die Sport auslöst (Gelenkschäden, „Sportlerherz“ und anderes). Ganz davon abgesehen, dass viele im Sport den allgegenwärtigen Wettbewerbsgedanken auch noch in ihre Freizeit transportieren.
Die Frage, die Du hier also aufwirfst ist im Grunde genommen die, nach welcher Maxime ich *glücklich* leben kann. Und dazu stellst Du richtig fest, taugen Vergleiche überhaupt nicht.
Welche Maxime wir uns aussuchen, welches überhaupt geeignete Grössen sind, nach denen wir unsere Zufriedenheit mit uns selbst messen ist natürlich eine andere Frage, die weitaus schwieriger zu beantworten ist.