Mittwoch, 5. Mai 2010

Ich bin nett

Es war einmal ein kleines Mädchen, das war hübsch und lieb und nett und alle hatten es lieb. Wenn es auftauchte, war es der Mittelpunkt aller, wurde als Sonnenschein und Prinzessin bezeichnet, behandelt und gefeiert. Das kleine Mädchen lernte, dass es durch seinen Liebreiz der Liebling aller ist und es liebte in seiner unbedarften Art alle Menschen, weil die auch zu ihm so lieb waren.

Das kleine Mädchen hatte schnell gelernt, dass es, wenn es liebenswürdig und nett ist, alles kriegt, was es will. Wenn es geliebt werden will, wenn es etwas haben will: einfach lieb und nett sein - man kriegt es. Liebenswürdig zu sein erschien so der Preis für alles, das man haben will, man konnte damit erreichen, dass man geliebt wird. Und was anderes sollte man sich wünschen, als dass einen die anderen mögen?

Diese Haltung dringt tief und wird zum Muster. Man liebt die Welt und wird geliebt. Doch irgendwann funktioniert das nicht mehr. So sehr man liebt, man kriegt nicht mehr alles, man stösst an, man wird zurück gewiesen, man wird verletzt. Man merkt, dass das, was als kleines Mädchen so gut funktioniert hat, plötzlich nicht mehr geht und man immer mehr Wunden davon trägt durch die eigene liebenswürdige Art. Man lernt, dass die eigene Liebe zu den Menschen oft blind ist und ausblendet, dass nicht alle andern Menschen auch lieb sind, sie einem nicht nur Gutes wollen.

Vor allem aber hat man nie gelernt, das zu kriegen, was man will, indem man drum bittet. Man musste nie um etwas bitten, man kriegte einfach, weil man liebeswürdig war. Und je länger je mehr bleibt man mit seinen Wünschen und Träumen und Bedürfnissen auf der Strecke. Weil man nie gelernt hat, darum zu bitten, für sie einzustehen, sie einzufordern. Und diese mangelnde Übung macht es fortan nicht einfach. Es müssen nicht mal die bösen anderen sein, die einem die Bedürfnisse nicht zugestehen, diese werden von uns einfach nicht dringlich genug formuliert, weil wir es nicht gewohnt sind, es nicht geübt haben, es uns nicht zugestehen.

Das ist der Zeitpunkt, an dem man merkt, dass man was ändern muss. Die Liebenswürdigkeit, die zur Liebessucht verkam, kann man nicht einfach ausschalten, denn sie ist eine wahre Sucht mit all ihren Mechanismen und Funktionen. Man hat in der Forschung herausgefunden, dass Liebe und Sucht viele ähnliche Rezeptoren bedienen, insofern ist die Liebessucht eine doppelte Sucht, eine, welcher kaum beizukommen ist. Nur will man nicht ständig wieder auf die Nase fallen und fängt an, sich schützen zu wollen. Man sucht nach Auswegen, welche man in der Flucht oder in Stacheln erkennt. Die Stacheln kann man wahlweise nach aussen oder nach innen richten. So oder so wird jemand verletzt. Oder aber man verliebt sich in ein Biest, so dass man wieder verletzt wird.

Es ist ein Muster, das erkannt und durchbrochen werden will.

Was ist die Lösung? Die Lösung steckt in der Therapie durch Gleiches. Gleich und gleich gesellt sich gerne und so wie man in der Homöopathie Krankheiten mit Erregern therapiert, so kann man diese Liebessucht mit gleichem therapieren: mit Liebe. Nämlich mit der Liebe zu sich selber. Man selber kann sich die Grenzen aufzeigen, welche man sonst vergebens sucht oder erst erfährt, wenn man schon verletzt ist.

Liebe dich selbst! Einmal mehr das Heilmittel. Und sicherlich kein schlechtes. Aber nicht immer einfach zu erreichen, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, an uns rumzumäkeln, mit uns selber ins Gericht zu gehen und uns zu verurteilen. Und trotzdem: Liebe dich selber.

Wenn man sich erst mal selber liebt, erkennt man, was man sich wünscht und setzt sich dafür ein, wie man es auch tun würde für jemanden anders, den man liebt. Man möchte, dass es dem, den man liebt, gut geht und tut das, was es dazu braucht. Im eigenen Fall heisst das, dass man dahin gehen muss, seine Wünsche anzubringen, für seine Bedürfnisse einzustehen und sie andern gegenüber zu formulieren. Man gesteht sich das Recht zu, diese Wünsche zu haben und erachtet sich als wertvoll genug, sie erfüllt zu kriegen. Man ist liebenswürdig zu sich selber, indem man sich selber gefällt und dafür sorgt, dass man eben erhält, was man sich wünscht.

Das heisst nicht, dass man nun zum egoistischen Narzissen werden muss, der seine Wünsche auf Gedeih und Verderben durchsetzen will, der andern gegenüber nicht mehr liebenswürdig und nett ist, sondern es geht darum, für sich selber einzustehen und nicht darauf zu hoffen, dass die anderen einen durchs Leben tragen.

2 Kommentare:

Güezikrümel hat gesagt…

Ein sehr interessante und wahre Feststellung. Wer nie gelernt hat zu sagen was er sich wünscht, wie soll er das einfach so können. Doch dies äussern musste auch das kleine Mädchen, aber nie dafür kämpfen und einstehen. Zu sich, seiner Meinung und seinen Wünschen stehen zu können ist wahrlich nicht immer leicht. Wie oft versucht man nicht anzuecken und zu gefallen. Erst recht wenn man sich nicht würdig fühlt.

Anonym hat gesagt…

Krümelchen: das war auch mein Gedanke. Dass die Passivität bei der Zielerreichung einer aktiven Rolle weichen musst ist ein Unterschied zwischen Kindheit und Erwachsenendasein, den wir wahrscheinlich alle mal erfahren mussten.
Ich finde es nicht verwerflich, nicht anecken zu wollen oder danach zu streben zu gefallen. Die eigenen Wünsche und Ziele zu formulieren und für sich selbst zu bewerten - das ist etwas, was wir lernen müssen. Letzten Endes dreht es sich darum, dass wir entscheiden und wenn wir uns für ein Ziel entschieden haben Wege suchen, dieses Ziel zu erreichen. Dass man sich selbst nicht zu klein machen und seine eigenen Wünsche und Ziele mit zu geringer Priorität versehen sollte ist natürlich. Andererseits sind wir als Menschen "Herdentiere", die auf das Miteinander mit anderen angewiesen sind. Und das zwingt dazu, zugunsten von anderen auch zurückzustecken. Wieder könnte man vom aristotelischen Mittelweg zwischen den Extremen sprechen: Sich selbst wichtig nehmen, aber auch den anderen Raum lassen und umgekehrt. Weder sich selbst zu sehr zurückzunehmen noch sich selbst zu wichtig nehmen wäre wohl das, was ich als Methode nennen würde. Damit erreicht man niemals absolutes Glück (das gibt es sowieso nur als abstrakte Grösse, denke ich), aber man kommt ihm auf diese Art wohl am nächsten.