Montag, 4. Juni 2012

Teilhaben am Leid anderer oder einfach mal fröhlich sein

Kürzlich am Küchentisch fanden im Hause Cosima wieder einmal die üblichen philosophischen Diskussionen statt. Auslöser war ein ganz profanes Thema: "Mama, was für Filme schaust du gerne im Kino?" Also mein Sohn das nicht wüsste, stossen wir doch zu Hause beim Fernsehprogramm wie auch im Kino immer wieder an unsere Kompromissgrenzen. Er schaut alles gerne, das mit Action, Science Fiction, Agenten, Spannung zu tun haben, ich schaue - das Lied "weil ich ein Mädchen bin" kommt mir grad in den Sinn - gerne Liebeskomödien oder aber Filme über die Shoah, das Dritte Reich, die Zeit des Krieges und der verfolgung. Dieses Interesse fängt nicht bei den Filmen an, das tut es in der Wissenschaft, erstreckt sich über die Literatur bis in den Film hinein. Mein Sohn schaut mich gross an und sagt mit noch grösserem Ernst: "Mama, wieso beschäftigst du dich mit diesen Dingen? Die sind vorbei und so traurig. Wir sollten fröhlich sein heutzutage und fröhliche Dinge schauen." Ich versuchte etwas von historischer Verantwortung und nicht vergessen dürfen zu erklären, die Argumente griffen wenig. Nicht dass mein Sohn nicht interessiert an Geschichte wäre, das ist er sogar sehr, die einzigen Bücher, die mein nicht lesendes Kind liest, sind Geschichtsbücher (vornehmlich über Römer). Trotzdem bleibt er dabei: Es bringt nichts, sich mit traurigen Dingen zu beschäftigen, die nehmen einem die Freude und es ist besser, zu lachen und fröhlich zu sein.

Nun ist es nicht so, dass ich nie lache, im Gegenteil. Aber die Beschäftigung mit diesen doch eher düsterern Themen nehmen einen grossen Platz in meinem Leben ein. Dass ich mich an dieses Gespräch erinnere, kommt nicht von ungefähr, sondern wurde durch den Blog eines lieben Freundes angestossen: http://lautenist.livejournal.com/58000.html?view=138640#t138640 Er stellt sich auch die Frage, ob es Voyeurismus ist, Freude am Leid anderer, wenn man sich damit beschäftigt.

Was packt mich an dem Thema - bei mir dem Thema der Judenverfolgung, der Vernichtung, des Leids von Millionen von Menschen? Es ist nicht ein Gefühl der Freude über ihr Leiden, eher schon Trauer, Wut, Entsetzen. Interesse ist nicht immer positiven Gefühlen geschuldet. Woher aber rührt die Trauer, die Wut? Icih denke, sie lässt sich auf das Unverständnis zurückführen, wie Menschen so sein können. Es ist das wissen Wollen, wie es dazu kommen kann. Was die einzelnen Menschen angestachelt hat. Ich möchte die Mechanismen dahinter erkennen, sie durchschauen - um immer wieder zu sehen: sie sind nicht zu verstehen. Vielleicht ab und an zu erklären. Ab und an zu bechreiben. Aber zu verstehen? Nicht im Herzen. Ganze Regale zu dem Thema habe ich gelesen, jedes neue Buch drängt sich mir wieder auf, jeder neue Film muss gesehen werden. Das Thema hat eine Gewalt. Und in mir den Zwang, dran zu bleiben. Aus einer inneren Pflicht heraus, einer Verantwortung. Als Mensch. Das, was mein Sohn nicht als Argumente gegen die Freude gelten liess, stimmt doch ein Stück weit für mich. Es darf nicht vergessen werden. Es muss weiter gehen. Weiter bedacht werden, dessen muss weiter gedacht werden. Es darf nicht sein, dass so viele Menschen in den Tod befördert wurden, damit man ie nachher noch ganz vergisst. Und damit quasi zum zweiten Mal tötet. Denn was bleibt, ist die Erinnerung. Die Überlebenden spürten die Pflicht, Zeugnis abzulegen, die Erinnerung zu bewahren ganz deutlich. Und wenn diese Überlebenden auch nicht mehr leben, ist es an den nachkommenden Generationen, weiter zu gedenken.

Trotzdem hat mein Sohn natürlich recht. Freude darf und soll sein. Wir tun niemandem einen Gefallen, uns die Freude am Jetzt zu nehmen, nur weil im Gestern Menschen litten - es auch im Heute noch tun. Was wir aber tun können ist, unsere Freude bewusst zu sehen, sie bewusst zu leben und dankbar zu sein, dass wir in der Lage sind. Und dabei nie zu vergessen, dass es nicht selbstverständlich ist, ein Privileg  gar.

6 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

ich habe bei mir was dazu geschrieben ...
Link

Cosima hat gesagt…

Meine Antwort wieder hier:
Ich denke nicht, Joel will die Augen verschliessen, er interessiert sich selber für die Geschichte, nur sagt er halt, man müsse auch mal lachen, sich nicht zu viel damit beschäftigen, da dies runterdrücke. Also wohl eine Frage des Masses, wobei da immer bleibt: wo ist die Grenze?

Ich habe nicht nur wissenschaftliches Interesse, ich verspüre das Mitleid auch. Das gilt es bei der wissenschaftlichen Betrachtung aussen vor zu halten, da sonst keine rationalen Erkenntnisse möglich sind. Trotzdem bleibt es nicht aus. Es berührt. Mich hat die Geschichte der Juden durch alle Jahrhundere interessiert. Ich kann dir aber nicht sagen, wieso. Vielleicht, weil ich es ungerecht finde, wenn ein Volk immer verfolgt wird? Vielleicht weil man in solchen Geschichten sehr viel über den Menschen an sich erkennt?
Ich kann es für mich nicht abschliessend sagen, weiss aber, dass mich diese Geschichte weiter beschäftigen wird und ich auch weiter Zeit und Energie reinstecken werde.

Anonym hat gesagt…

wahrscheinlich bin ich von kindlichem gemüt – oft sehe ich das ähnlich wie sandra's sohn. ich bin viele jahre älter – müsste ich es nicht besser wissen? dürfen sich menschen in der heutigen zeit überhaupt erlauben, ihr leben zu geniessen, fröhlich zu sein und sich ohne schlechtes gewissen an "materiellen" dingen wie schöner musik, einem guten essen, einem herrlichen glas wein, einer neuen CD, einem ausflug oder einem schönen film zu erfreuen? denn nicht nur damals, sondern auch heute geht es vielen menschen – wenn nicht dem grossteil der menschheit – einiges weniger gut als uns hier im westlichen europa geht.
die beresina-ausstellung in luzern (und auch weitere exponate in dem museum) hat (haben) mich ziemlich beschäftigt. die lebensmittel- und textilkarten aus dem krieg. für erwachsene und kinder, getrennt. 50 gramm brot pro lebensmittelmarke. der heutige mensch geht in die migros und regt sich auf, wenn die lieblingsbrotsorte ausnahmsweise einmal fehlt. wir in un-serer wohlstandgesellschaft – ICH in unserer wohlstandsgesellschaft – darf ich? soll ich? muss ich gar? fröhlich sein, entspannt sein ob all dem leid, welches da draussen war und ist? ja, ich darf. ja, ich soll. ja, ich muss – niemals aus den augen verlieren, was damals war und was heute ist. ja, ich darf. ja, ich soll. ja, ich muss – lernen und wissen, dass NICHTS im leben selbstverständlich ist. ja, ich darf. ja, ich soll. ja, ich muss – dankbar sein für meine pri-vilegierte situation.
"es bringt nichts, sich mit traurigen dingen zu beschäftigen, die nehmen einem die freude und es ist besser, zu lachen und fröhlich zu sein." mein "kindliches gemüt" gibt sandra's sohn recht. es lebt im jetzt. mein "erwachsenes gemüt" erinnert mich daran, nichts zu vergessen. weder was war noch was ist. es lebt nicht nur im jetzt. es ist fähig, zu reflektieren. es ist fä-hig, sich zu fragen: "wie konnte so etwas überhaupt geschehen und warum geschieht es wei-terhin? all das leid, die kriege, weil ein gott besser sein soll als ein anderer oder aus purer machtgier wie beim beresina-feldzug? warum tun menschen anderen menschen (und auch tieren) so etwas an? warum?" eine antwort auf all die fragen habe ich nicht…
auch sandra's sohn wird einmal erwachsen. ich wünsche ihm, dass er ein stück weit sein kindliches gemüt bewahrt. wenn wir uns alle nur "düsteren gedanken und unschönen erine-rungen" hingeben – so formuliert es meine freundin – entsteht viel zu viel negative energie in dieser welt… ich wünsche ihm aber auch, dass er lernt, hinzusehen.

herzlich, ginette

Cosima hat gesagt…

Danke dir, Ginette. Genau das meinte ich damit, als ich schrieb, dass man sich freuen soll, das Leben geniessen soll (schrieb ich es genau so oder meinte ich es nur? Ich müsste nachlesen), es aber mit dem Bewusstsein tun soll, dass es ein Privileg ist und auch dankbar dafür sein soll. Das nicht zu jeder Stunde ständig, aber ab und an innehalten und sehen, dass man es verdammt gut getroffen hat mit seinem Leben. Dass man - sogar wenn man nicht zur Upper Class gehört, immer noch zu den wirklich Privilegierten im Weltdurchschnitt gezählt werden darf.

Ich geniesse die schönen Seiten des Leben, geniesse ein gutes Glas Wein, ein feines Essen, die Möglichkeit, rausgehen zu können. Ich bin ab und an Kind, lache, tanze, singe, rede Unsinn - liebe das Leben. Aber ich habe auch die nachdenkliche Seite. Sie holt mich ab und an ein. Ich mag sie beide, auch wenn die Balance nicht immer einfach ist. Und trotzdem geben genau diese beiden Seiten auch eine ganze Bandbreite an Leben.

Lieben Dank auch für deine Wünsche an meinen Sohn. Denen kann ich mich nur uneingeschlossen anschliessen.

Thomas hat gesagt…

und meine Kommentare zu Ginettes Kommentar finden sich wieder hier

Cosima hat gesagt…

Chli es Hin und Her :) Aber schön, Gedanken zum Geschriebenen zu lesen. Danke dafür!