Dienstag, 6. März 2012

Der Schritt zurück

Oft rasen wir durchs Leben, von einem Punkt zum nächsten, ohne anzuhalten, ohne uns umzuschauen, Blick gerade aus und los geht's. Wenn wir dann an eine Hürde kommen, fühlt sich das nicht gut an. Gewohnt, im Eilzugtempo zu leben, ist Stillstand eine Plage. Stillstand heisst Stagation, heisst, nicht weiter zu kommen, bedeutet Verlust an Tempo, an Neuem, an Erreichen von Dingen. Und eines ist tief in uns drin: Es muss weiter gehen und immer weiter. Denn irgendwo dahinten wartet noch etwas, das wir haben wollen. Ziele, Träume, Wünsche.

Nun ist es nicht schlecht, sich von Motiven antreiben zu lassen. Sie sind der Motor des Lebens und sie führen uns in der Tat weiter. Was wir dabei oft vergessen ist, dass auch das Heute wertvoll ist, auch es war mal ein Morgen, auf das wir zustrebten. Also sollten wir es entsprechend geniessen, denn sonst können wir davon ausgehen, dass wir auch das nun angestrebte Morgen nicht geniessen werden, da wir bereits das Übermorgen im Blick haben. Was weiter dazu kommt ist, dass wir nicht wissen können, ob das Morgen wirklich besser ist als das Heute. Wie schade wäre es, das Heute ignoriert zu haben, achtlos dran vorbei gegangen zu sein, wenn das Morgen nicht schön wäre. Vielleicht sogar grausam, unheilvoll? Oder vielleicht erreichen wir das Morgen gar nicht...

Ab und an ist das Heute nicht schön, nicht so, wie wir es uns wünschen. Dann laufen wir schnell weiter, versuchen, das Heute weit hinter uns zu lassen. Wir versuchen, es zu vergessen, zu verdrängen, den Blick nach vorne zu richten und hoffen, im Morgen Erlösung zu finden. Wir hadern mit dem Heute und wollen darum nichts, als weiter kommen. Auf dem Weg ins Morgen, im Morgen selber, das nun Heute ist, merken wir dann irgendwann, dass das vormalige Heute, nun Gestern, immer noch präsent ist. Vielleicht unter Schichten, vielleicht verschleiert, aber doch präsent. In Gedanken, in Handlungen, in Wiederkanntem. Und irgendwann schreit das Gestern immer lauter in einem drin, aus einem Heraus. Man merkt: es wird kein Morgen geben, wenn das Gestern nicht nochmals angeschaut wird.

Verdrängen führt nie zum Ziel. Vielleicht mittelfristig zum Vergessen, aber nie langfristig zur Heilung. Und alles, was unterschwellig gärt, wird irgendwann wieder herausbrechen. Wenn man das merkt, hilft es ab und an, nochmals einen Schritt zurück zu machen. Nochmals genau hinzusehen, was war, wie war es, wie es dazu kam und was ich für mich heute damit machen kann - für ein befreites Heute und Morgen. Freud sagte, man muss die Vergangenheit nochmals wiedererleben, um sie danach wirklich abschliessen zu können. Darin steckt viel Wahres. Klar macht das auch Angst. Man hatte Gründe, es hinter sich zu lassen. Man weiss nicht, was es heute auslöst, wenn man es nochmals in die Gegenwart holt. Und doch ist es wohl der einzige Weg, mit sich ins Reine zu kommen, vor allem dann, wenn es sich immer wieder meldet. Schliesslich und endlich hat es ja auch Gründe, dass es nicht einfach weg ist, eben nicht vergehen will, eben nicht vergessen werden will oder kann.

Manchmal muss man einen Schritt zurück gehen, um vorwärts zu kommen.

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