Freitag, 30. März 2012

Wieviel Indien braucht's zum Glück?

Was ein guter Yogi sein will, muss mindestens einmal nach Indien reisen, um die Lehren back to the roots aufzunehmen. Wer etwas auf sich hält, hat einen persönlichen Lehrer mit fremdländisch klingendem Namen, welcher in direkter Linie von einem der ganz grossen Gurus abstammt oder aber selber einer ist. Wer einen oder mehrere solche Namen führen kann, der zeigt damit quasi, dass er selber das Wahre, die Basis, das, was zählt, mit auf seinen Weg nimmt.

Wenn ich mich in die yogischen (und auch buddhistischen) Philosophien stürze, lese ich überall, dass das Wahre nicht im Aussen zu suchen ist, dass ich wirkliches Glück nur in mir selber finden kann. Viele Geschichten erzählen von Bauern, die durch die Welt reisten und schlussendlich im eigenen Garten den Schatz fanden oder von Schülern, welche zu fernen Gelehrten fuhren, um am Schluss vom eigenen Vater die grösste Weisheit zu lernen. Zensho schreibt in einem seiner Bücher: Suche nicht, es ist alles schon da.

Ja was denn nun? Muss ich nun nach Indien oder kann ich gleich hier bleiben? Ich spüre mit schöner Regelmässigkeit den Drang, meine Koffer zu packen und den nächsten Ashram aufzusuchen. Am besten für einige Monate. Um auch wirklich da gewesen zu sein. Um auch wirklich meine Pflicht als guter Yogi erfüllt zu haben. Ab und an überkommt mich das Gefühl, als Nichtindiengereiste nicht zu den wirklichen Yogis zu gehören. Ich lese überall von den tollen Reisen, von den exotischen Namen, von den vielen Erlebnissen. Höre von fremden Kulturen, von neuen Erkenntnissen - und wenn es nur die ist, dass es zu Hause doch am Schönsten ist. Und selber kann ich nicht mitreden, da ich noch nie da war. Yoga nicht aus indischer Basis kenne, sondern nur von westlichen Lehrern gelernt und sogar vieles selber erforscht habe. Und in dem Gefühl des Minderwerts komme ich in einen Aktivismus, der mich treibt, der mich Flüge suchen lässt, Ashrams suchen läst, der mich Yogarichtungen und Gurus vergleichen lässt. Und merke in dem Aktivismus bald mal langsam und leise und immer deutlicher: ich will das eigentlich gar nicht. Das ist nicht meine Welt.

Was in der Theorie so toll, so fern, so neu, so aufregend klingt, ist in der Praxis nämlich ein Graus für mich. Ich reise nicht gerne. Reisen ist Stress. Ich bin ein Mensch, der am liebsten zu Hause ist. Der am liebsten seine vertraute Umgebung hat, seinen Ablauf, das, was er kennt. Ich mag mein Leben, wie es ist, suche wenig im Aussen, bin gewohnt, die Dinge mit mir selber auszumachen und mir Sachen selber zu erarbeiten. Ich lerne gerne von anderen Menschen, stosse aber häufig per Zufall auf die wertvollsten Lehrer und meistens sind sie nicht weit weg - sicher nicht in Indien (können sie nicht, da ich ja nie da war - es sei denn, sie würden sich vor meine Haustür verirren irgendwann, dann wäre meine Türe natürlich jederzeit offen und ich neugierig).

Aber was nun? Ist der Yogaweg damit für mich zu Ende? Werde ich nie ein guter Yogi sein ohne Indien? Ist mein Weg zum Glück ein unvollkommener, aussichtsloser, da er nicht zu den ursprünglichen Wurzeln zurück führt? Muss ich wirklich in mir fremde Welten eintauchen, um wirklich Yoga zu praktizieren, zu leben? Geht Yoga ohne Osten nicht? Haben die Stimmen recht, die sagen: du musst unbedingt mal nach Indien, das ist ein Erlebnis?

Ich denke ja und nein. Es mag ein Erlebnis sein - wie so manche Reise eines ist. Ob ich da Yoga authentischer leben lerne, wage ich für mich zu bezweifeln. Nach Indien zu gehen würde meinem Wesen widersprechen, es wäre nicht das, was ich für mich als gewollt sehe. Yoga und die Art zu leben, die die Philosophie des Yoga propagiert, ist mein Weg, ist das, was sich für mein Leben stimmig anfühlt. Ich bin und bleibe dabei ich und authentisch, in meinem Sein, in meinem Denken. Reisen anzutreten, nur um dazuzugehören, wäre nicht mein Ding, das wäre eine fremde Haut überstülpen, um etwas zu beweisen, das nicht ist, eigentlich ein Schein statt Sein. Und so bleibe ich hier, gehe weiter meinen Weg, lebe ihn - als ich.

Das lässt sich auf viele Bereiche im Leben anwenden, denke ich. Oft denken wir, gewissen Normen genügen zu müssen, um mithalten zu können. Wir streben Dinge an, die wir eigentlich nicht wollen, nur weil wir denken, sie haben zu müssen, um eben dazuzugehören. Wir unterordnen uns Strömungen, Trends, Regeln, die uns nicht entsprechen, um nicht aus der Norm zu fallen, um Ansprüchen anderer zu genügen. Oft verlieren wir uns dabei selber, verlieren unsere Authentizität. Wir verlieren unsere Einzigartigkeit. Das ist schade, denn uns gibt es nur einmal, andere gibt es viele. Und wäre ich wie alle andern, wo bliebe dann noch ich?

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