Montag, 4. Juni 2012

Zusammenbleiben

Eine schlaflose Nacht brachte es mit sich, dass ich einen Film schaute, zuerst in der Hoffnung, dabei einschlafen zu können, dann mit immer mehr Gefallen am Gesehenen selber. Ein Kleinunternehmer, gutaussehend, Familienvater von drei Kindern, verheiratet mit einer eigentlich hübschen, ihm aber wohl zur Gewohnheit gewordenen Ehefrau, welche mehr an Alltag denn an Erotik denken liess, verliebte sich (nicht zum ersten Mal in seiner Ehezeit) in eine Frau (die, man hat es erahnt, nicht die seine war). Die Liason dauerte ein paar Monate, die Ehe daneben plätscherte dahin, die Frau fühlte sich allein gelassen, keifte, was sie nicht attraktiver machte für den Mann. Ganz Unschuld von Lande war sie auch nicht, auch ihre Ehekarriere war durchbrochen mit sicher zwei Affairen. Reingeschlittert aus dem Wunsch, begehert zu werden, aus der Vernachlässigung heraus, vielleicht auch aus Frust über den Alltagstrott.

Irgendwann das Unvermeidliche: die Sache kam ans Licht. Vorher zwar erahnt, war nun klar für die Frau: da ist eine andere Frau. Und der Mann stand in der Situation, dass diese andere Frau eine Entscheidung haben wollte. Die Trennung wurde beschlossen, man redete erst emotional, den anderen verletzen wollend, vielleicht um ihm ein wenig von der eigenen Verzweiflung, die in diese Situation geführt hatte, abzutreten, dann sachlich. Trennte sich in derselben Nacht, die Frau noch nüchtern, er eher weniger, was ihm im Auto nicht gut bekam. Er landete in der Ausnüchterungszelle. Da weinte sie nun zu Hause aus Trauer über das, was sie verloren hatte, was doch nicht nur Alltag, Gewohnheit war, sondern auch Erinnerung, Lebensinhalt, eigenes Leben. Er tat das Gleiche in der Zelle, plötzlich bewusst, dass ihn doch mehr mit dieser Frau verbindet als die Kinder und die Zahl der Jahre. Am nächsten Morgen trennt er sich von der Nebenfrau, die ins Schlittern geratenen Geschäfte können dank der Hilfe der Nochfreu aufgefangen werden und am Schluss sieht man die beiden in den lange geplanten und immer verschobenen Urlaub fahren. Im Wissen, dass es nicht nur einfach werden wird und eitel Sonnenschein, aber doch nachdenklich geworden.

Die Filme und Bücher über das Zusammenbleiben scheinen sich zu mehren. Waren früher eher Kennenlerngeschichten aktuell, stolpere ich immer mehr über die, welche die Fortsetzung der Anfangsromantik thematisieren. Zufall? Zeichen der Zeit? Ich weiss es nicht, nutze es aber zu eigenen Gedanken.

Früher war mir eines klar: Ein Seitensprung wäre das unweigerliche Ende. Treue als oberste Maxime, ohne Toleranz. Ich bin älter geworden. Vielleicht ruhiger. Bestimmt ruhiger. Und wohl auch nachdenklicher. Zudem hat die Erfahrung des Lebens einiges mit sich gebracht. Eine Beziehung, welche aus Liebe entsteht, aus Romantik auch, aus vielen Wünschen und Träumen des Miteinanders, des Wachsens, gemeinsam, aneinander ist etwas Wertvolles. Das zu erkennen dürfte noch keine Hexerei sein. Was aber so blumig und schön anfängt, bleibt selten so, das Leben geht weiter, das Leben ist nicht immer einfach, äussere Einflüsse tun das ihre, innere Stimmungen zu erzeugen, nicht immer nur positive. Zwei Menschen sind nie identisch, Wünsche prallen aufeinander, Bedürfnisse, widersprechende, sich ab und an ausschliessende. Kompromisse sind wichtig, nicht immer befriedigend. Ab und an kommt die Sehnsucht nach Unabhängigkeit dazu, nach Neuem, nach Abenteuer. Verlockungen sind nicht selten, wenn gar Möglichkeiten da sind... wird das Schwierige noch schwieriger, der Schlussstrich scheint der einfachere Weg.

Das mag in jungen und umabhängigen Jahren noch zutreffen, doch selbst dann kommt nicht immer etwas Besseres nach. Je älter man wird, je mehr in einer Beziehung auch verbindet, desto weniger trifft es in meinen Augen zu, dass Gehen die bessere Alternative ist. Erstens wird alles erst mal Neue irgendwann alt, zweitens werden mit jedem neuen Menschen auch neue Probleme auftauchen und drittens ist im Alten nie alles nur schlecht, so dass einem irgendwas ganz schrecklich fehlen wird, wenn der Mensch erst mal weg ist. Dazu kommt - und das wiegt viel schwerer: Die Vertrautheit, die man über die Zeit aufgebaut hat, wird in einer neuen Beziehung nie so da sein. Selbst wenn man denkt, den Seelenverwandten getroffen zu haben, der einen blind versteht. Nach dieser anfänglichen Blindheit gehen beiden meist die Augen auf und von dem Verstehen bleibt nicht mehr ganz so viel, Unterschiede tauchen auf.

Es gibt viele Sprüche heute darüber, dass man viel zu schnell aufgibt, nicht mehr kämpft, sich nicht mehr zusammenrauft. Man möchte es als leere Weisheiten abtun, möchte dagegen halten. Das Argument der neuen Möglichkeiten der Frau, die das erst realisierbar machten, ist schnell bei der Hand, auch nicht ganz von derselben zu weisen. Und doch bleibt ein Funken Wahrheit dabei. Ob man heute wirklich glücklicher ist damit? Ich wage es zu bezweifeln.

Was ich aber ganz konkret durch diesen Film überlegte, war: wieso ist der Umstand der sexuellen Treue so relevant, so wichtig? Vieles andere wäre man bereit, zu verzeihen, aber bei dem sagt man: Game over. Ist Sexualität so viel wichtiger in einer Beziehung als Liebe, als Miteinander, als Freundschaft, als Vertrauen. Klar, dieses Vertrauen wurde verletzt durch einen Seitensprung, aber andere Vertrauensbrüche würde man leichter wegstecken. Sie wären schmerzhaft, aber nicht das Ende. Grundsätzlich sind sie aber alle dasselbe. Alle Vertrauensbrüche gehen darauf zurück, dass man etwas tat, von dem man wusste, der andere wäre verletzt, der andere würde leiden. Und man tat es doch. Heimlich. Weil man a) nicht verletzen möchte und b) nicht verlieren, was man hat. Sei es aus Gewohnheit, aus Bequemlichkeit oder doch auch Liebe. Trotz allem. Ich bin durch all das zum Schluss gekommen für mich, dass ich es heute wohl nicht mehr so rigoros sagen könnte. Klar erwarte ich nach wie vor Treue - genauso aber auch Ehrlichkeit auf anderen Ebenen. Ich habe keine Hierarchie mehr in diesem Wunsch. Die sexuelle Ehrlichkeit wiegt dabei nicht höher als jede andere, denn der Verlust an Vertrauen ist bei allen Brüchen derselbe. Wäre diese eine Ebene die alleinausschlaggebende, wäre es ja auch die einzige Ebene, die die Beziehung zusammenhält. Aber da ist so viel mehr. An Austausch, an Halt, an Gefühlen, an Herausforderung - und auch an Gewohnheit.

Gewohnheit hat oft einen langweiligen Touch. Alles muss immer neu sein. Aufregend. Dabei übersieht man, dass Gewohnheit auch ganz viel Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Und damit auch ein Stück Ruhe. Auch das kann wertvoll sein. Aufregend genug ist das Leben meistens selber. Und wenn der geliebte Mensch es auch ab und an ist, weil er es sein will, sich die Mühe gibt, es zu sein, dann ist eigentlich schon viel erreicht. Den Wert der Zeit wird Neues nie aufwiegen können. Beziehungen werden nie tief, wenn der Faktor Zeit fehlt. Und gerade diese Tiefe lässt wachsen - sich und den andern und beide zusammen. Drum sind eigentlich diese neuen Liebesgeschichten die interessanteren. Weil sie mehr über den Menschen an sich aussagen. Und damit auch über einen selber.

Das alles ist blosse Theorie. In diesem Punkt liebe ich die Theorie mehr als den Praxisbezug - wie es sich für eine Philosophin wohl auch gehört. :)

3 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Zusammenbleiben oder sich trennen
das Thema kenne ich ja aus einem anderen Zusammenhang heraus. Die Frau, die das damals betraf blieb in ihrer Ehe, obwohl sie laut eigener Aussage ihrem Mann nichts mehr zu sagen hätte, sie aneinander vorbeileben würden und nur noch als Elternpaar funktionieren. Ich riet damals zur Trennung, da dieser Zustand über Jahre hinweg andauerte und ich darum sicher war, dieser Zustand sei nicht eine zeitlich begrenzte Krise sondern ein Dauerzustand und die damit verbundenen inneren und äusseren Konflikte liessen sich nur noch lösen, wenn man sich trennt. Und wenn es dann doch wieder okay werden sollte wie im Film – die beiden vielleicht auch erkannt hätten, es sei ohne den anderen schlechter und sie doch wieder zusammenkämen wäre es ja auch nicht das Schlechteste. Auch dann hätte die Trennung ihren Zweck erfüllt. Und sie könnten wieder ehrlich miteinander umgehen, die Beziehung wäre quasi neu verhandelt und man hätte das, was man so „einen neuen Anfang“ nennt. Ich würde von „Neuverhandlung der Beziehung“ sprechen. Damit stiess ich auf taube Ohren – okay, das ist nur am Rande interessant, sondern dient nur dazu zu illustrieren, dass gegen eingefahrene Routinen in einer Beziehung helfen kann, sich neu miteinander auseinanderzusetzen. Im Prinzip ist das eine krasse Form eines Dialogs. Weniger schlimme Differenzen mag man noch im Gespräch lösen können, andere verlangen nach gröberen Massnahmen, um wieder ins Gespräch zu kommen. Eben dann, wenn die „Fronten“ festgefahren sind.

Sich zu trennen kann eine Tragödie sein, wenn sich die Partner eigentlich lieben und es nur an mangelnder Kommunikation liegt, dass eine Trennung unausweichlich wird. Es gibt aber auch gute Gründe, sich zu trennen.

Was sexuelle Treue angeht – natürlich ist Fremdgehen ein Vertrauensbruch. Wie schwer man den nimmt ist wahrscheinlich individuell verschieden. Wir setzen uns da alle Präferenzen – oder übernehmen sie aus der Gesellschaft. In dem derzeit gültigen Moralkanon ist sexuelle Treue sehr wichtig und fremdgehen ist ein Killer. Ich finde, das ist grösstenteils dem Besitzdenken geschuldet. „Mein Mann“, „Meine Frau“ definieren sich gradezu über das Sexuelle, da das Materielle oft weggefallen ist (Mann = „Versorger“ im Sinn von dem, der das Geld anschafft während die Frau = Versorgerin im eigentlichen Sinn ist, indem sie den Haushalt, die Kinder und den Mann versorgt). Auch wenn man (wie ich) romantische über Beziehungen denkt ist fremdgehen ein Killer, denn in deren Tradition würde ich fremdgehen als ein Wegstossen des Partners empfinden. Eine entfernt sich aus den Zwei, die Eins sind und damit wird das Eine, das aus Zweien besteht zerstört.
Das muss man natürlich nicht so sehen – ich kann mir auch andere Konstruktionen vorstellen, auf denen eine Partnerschaft aufbauen kann. Nur wofür dann noch?

Cosima hat gesagt…

Ich sehe Treue immer noch als wichtig und erwünscht und es würde mich sehr treffen, wenn dagegen verstossen würde. Das einzige, was ich in Frage stelle ist, ob ich nur schon durch den Umstand, dass es passierte, sagen würde: Aus. Vielleicht wäre das ja auch der Anstoss, den du nennst, der zu Neuverhandlungen führen kann? Klar wäre es anders schöner und klar, ich hätte zu nagen und aus einem inneren Impuls heraus würde ich immer noch sagen: Koffer packen und gehen. Trotzdem geht mit dem Koffer unter Umständen mehr, als man sich bewusst ist in dem Moment.

Eine Partnerschaft aufbauen ergibt in meinen Augen dann Sinn, wenn man auch versucht, das aufgebaute zu bewahren, weiter zu bauen, daran zu arbeiten, weiter zu gehen. Sonst ist es Treten an Ort - immer in neuer Besetzung. Aber klar gibt es Trennungen, die unausweichlich sind. Die Gründe dafür sind wohl individuell verschieden.

Thomas hat gesagt…

Natürlich macht eine Partnerschaft nur Sinn, wenn man auch vorhat zusammenzubleiben. Alles andere wäre irgendeine Variante eines One Night Stands (eben statt one night one month oder irgendeine andere Zeitspanne).

Mir ist nur aufgefallen, dass viele sehr viel Aufwand darin betreiben, die Angebetete zu bekommen. Und haben sie sie dann endlich meinen sie, am Ziel zu sein. Und betreiben keinen Aufwand mehr.
Das ist dann der Tod im Alltag. Eine Partnerschaft kann nur funktionieren, wenn beide daran arbeiten. Klar - nicht jeder kann oder will immer gleich viel hineinstecken. Es kann aber auch nicht sein, dass nur ein Teil die Partnerschaft trägt. Das mag sogar funktionieren - dann ist der andere Teil eben das "Anhängsel". Wie glücklich so etwas sein kann weiss ich nicht. Mein Ding wäre es nicht.

Aber eben: Nachdem man zueinander gefunden hat fängt es eigentlich erst an, spannend zu werden, finde ich :-)