Montag, 16. Juli 2012

Umzug

Wie im richtigen Leben so nun auch im Blog: Ich bin umgezogen. Neu sind meine Gedanken zu finden unter:

http://denkzeiten.wordpress.com/

Es wäre schön, wenn ihr da wieder reinschauen, vielleicht auch mal einen Kommentar fallen lassen würdet. Hier auch mal ein Danke an all die, welche meinen Blog verfolgen, danke auch für die Feedbacks, die mich auf allen möglichen Wegen erreichen. Tut gut!

Sonntag, 15. Juli 2012

Leben - vorwärts und rückwärts

Ich las heute das Buch "Dossier K." von Imre Kertész. Es handelt sich um eine (wie er betont die einzige) Autobiographie dieses tiefgründige Menschen, aufgebaut als quasi sokratische Frageform, bei welcher Frage und Antwort sich steigern zur immer genaueren Antworten auf das, was gesucht ist - hier wohl so etwas wie die Quintessenz dieses Lebens und Schreibens. Imre Kertész betont in diesem Werk mehrmals die Sinnlosigkeit der Geschichte (bei seinem Erlebten nicht verwunderlich) und das Ausgeliefertsein an ebendiese. Er verneint ein Schicksal, weil genau dieses nach Sinn fragen würde. Und er ziert sich ab und an, gewisse Dinge zu bennenen, zu erklären, da er findet, dass die nachträgliche Erklärung wiederum einen in der Originalzeit nicht sichtbaren Sinn und Zusammenhang entstehen liesse.

Es hat mich sehr berührt zu sehen, wie ein so begnadeter Schriftsteller, wie ein so tiefgründiger, feinfühliger (in Beschreibung der Umstände wie in der Wahl der dazu passenden Form) Schriftsteller selber von Selbstzweifeln geschüttelt war, wie er an sich und seinem Schreiben zweifelte, wie er durch Durststrecken lief, nur um wieder zu merken: ich muss schreiben, ich will schreiben. Er bezeichnete das Schreiben gar als sein Verbrechen, da er sich die Zeit stahl, zu schreiben, statt etwas "Sinnvolles" zu tun.
Erklärt man die Geschichte rückwärts, sieht man einen Nobelpreisträger, der sein Leben lang einer Berufung folgte. Was aber, wenn die ersten Ablehnungen der Manuskripte angehalten hätte? Was, wenn er nie ein Werk hätte veröffentlichen können? Was würde man dann sehen? Einen in die Irre Gelaufenen? Einen Phantasten? Einen Irren? Lebenskünstler, Idealist, Nichtsnutz? Als das sah er sich, ab und an. Er nagte - an sich und an den Existenzgrundlagen. Und immer wieder half eine glückliche Begebenheit, dass es weiter ging.

Doch Schicksal? Musste er schreiben? War das seine Aufgabe in diesem Leben? Durch Schriftsteller wie ihn sind die Verbrechen der Nazizeit ans Licht gekommen und da geblieben. Durch Menschen wie ihn, die schreiben mussten (auch Primo Levi nannte es seine Pflicht, zu schreiben, damit er Zeugnis ablegen könne für die, welche es nicht mehr können), erfuhr die Nachwelt, was in den Lagern anno dazumal passiert ist.

Was ist vorbestimmt? Was ist der Weg, den man gehen will, soll, muss? Und kann man ihm entfliehen? Ist der Mensch frei oder gibt es doch die vorgespurte Schiene, in die er muss? Im Rückblick liesse sich die Frage folgerichtig beantworten, da man aus den Gegebenheiten Kausalketten bilden könnte. In der Vorschau steckt man in der Spekulation fest, kann Wahrscheinlichkeiten benennen, Prognosen fällen, die denen des Wetters nichts nehmen. Schlussendlich bleibt wohl nur, das Leben auf ehrliche Weise zu leben. Lebenslügen sind auch nur Lügen, irgendwann stolpern die kurzen Beine und man liegt - flach. Der Weg über Stock und Stein kann einen auch hinhauen, nur lässt es sich dann leichter aufstehen, da man die Kräfte beisammen hat. Bei den Lügen hat man sie verpufft durch das Wahren des Scheins nach aussen. Der vormals als Weg des geringeren Widerstands erscheinende Weg entpuppt sich dann als Krafträuber. Subtil, anfangs unbemerkt. Doch wenn man es merkt, ist es zu spät. Korrektur nur noch mit erneutem Kraftaufwand möglich.

Gibt es ein Schicksal? Ist alles vorbestimmt? Vermutlich ist das nicht mal wirklich relevant. Schlussendlich führt der Lebensweg einen durch Hochs und Tiefs, ist mal schön, mal schrecklich. Man sucht nach seinem Platz im Leben, manche finden ihn schneller, manche suchen ein Leben lang. Am Schluss landen alle am selben Punkt. Was bleibt, ist das Gefühl beim Rückblick. Und schön wäre es, dann sagen zu können: Das war das Leben, das ich leben wollte.

Freitag, 13. Juli 2012

Vergeben und vergessen

Im Zuge einer wissenschaftlichen Arbeit untersuchte ich vor einigen Jahren die Südafrikanische "Truth and Reconciliation Commission" (TRC). In meiner Arbeit ging es darum, aufzuzeigen, wie man nach einem Unrechtsregime Normalität und Frieden herstellen, wie man eine Transition to Justice, eine Überführung zur Gerechtigkeit herbeiführen kann. Die Schwierigkeit in Südafrika nach der Apartheid war, dass die vormaligen Täter und Opfer nach dem Umbruch zusammen leben mussten, in einem Staat. 

Die Kommission funktionierte so, dass die Opfer und die Täter eine Plattform erhielten, ihre Erlebnisse der Vergangenheit zu erzählen. Man erhoffte sich dadurch, dass das Erzählen die Wunden heilen hilft bei den Opfern (frei nach Freuds These, dass man Traumata und schwierige Erlebnisse nochmals wiedererleben muss, um sie dann verarbeiten zu können) und dass die Erzählungen der Täter dazu beitragen, die Geschichte klar sichtbar zu machen, die Hintergründe offenzulegen, die Taten belegbar zu machen. Ziel dieser ganzen Aktion war es, Vergebung zu erreichen. Vergebung als Basis des Friedens. Mit sich selber und mit dem anderen.

Wie ist es in unserem privaten Leben? Wie reagieren wir, wenn uns Unrecht widerfährt? Vergeben und vergessen, alles wieder gut? Oder hadern wir und tragen nach? Kommt es auf die Art und Schwere des Unrechts an, wie wir reagieren? Oder ist allein unser Naturell ausschlaggebend? Kann man alles vergeben? Muss man? Wieso? Für wen? Für sich selber? Für den anderen?

Ich bin nicht nachtragend. Gebe jedem eine zweite Chance, oft auch eine dritte. Ich lasse mich gerne davon überzeugen, dass unschöne Dinge auf Missverständnissen beruhen, nicht böse gemeint waren. Zudem bin ich der Meinung, dass niemand immer fair ist und man kaum durchs Leben gehen kann, ohne andere zu verletzen, selbst wenn man das nicht will. Und doch: Kann man alles vergeben? Kann man bei allem sagen: Schwamm drüber, schauen wir nach vorne? Und wenn nicht, was sind die Kriterien, dass es nicht geht? Und was macht das mit einem?

Das Vergeben ist wohl umso schwerer, je tiefer die Verletzung traf. Verletzungen treffen dann, wenn es um Themen geht, die für den Betroffenen heikel, sensibel, belastet sind. Ist die Verletzung in dem Bereich passiert, fällt es schwer, einfach darüber hinwegzugehen. Der Stachel sitzt tief. Wenn man genau hinschaut, hilft einem aber das Unversöhnliche nicht wirklich, Frieden zu finden. Selbst wenn Kampfstillstand herrscht, in einem selber nagt der Konflikt weiter. Man beobachtet mit Argusaugen, was der andere macht. Und hofft inständig, dass er einfach nur weniger gut ist als man selber. Der Stachel der Missgunst, des Zwists steckt tief.

Das Problem ist, dass negative Gefühle gegen andere einem selber wenig bringen. Weder erfährt man dadurch eine Befriedigung noch erwirkt man eine Veränderung der Situation. Der andere spürt diese Gefühle oft nicht mal. In einem selber aber nagen sie permanent, wenn man keinen ausgeprägten Verdrängmechanismus sein Eigen nennt. Vergeben und vergessen wäre also die Lösung. Nur: Kann ich einfach alles vergessen und vergeben? Wäre das nicht ein Persilschein für die, welche Unrecht tun? Niemand trägt es nach, es wäre gleich wieder ungeschehen. Diese Handhabe würde dazu führen, dass man weniger achtsam wäre im Umgang mit anderen. Man hat keine Konsequenzen zu fürchten. Das kann nicht die Lösung sein. Doch wo findet man diese? Was kann man verzeihen, was sollte man verzeihen und wo kann oder muss man auch mal sagen: Bis hier hin und nicht weiter?

Die Art der Verletzung ist sicher ein Kriterium bei der Entscheidung, ob man diese vergeben kann oder nicht. Je grösser das eigene Leiden ob des Verhaltens des anderen desto schwerer, dieses zu vergeben, gar zu vergessen. Je grösser die emotionale Betroffenheit ist, desto tiefer setzt sie sich im Bewusstsein und damit in der Erinnerung fest.
Zweites Kriterium ist sicher, wer der Verletzende ist. Wie nah steht er einem? Grosse Nähe kann aber in meinen Augen auf zwei Seiten ausschlagen. Einerseits würde man gerade von einem sehr nahen Menschen keine Verletzungen erwarten, ist dementsprechend viel tiefer getroffen als wenn es ein Fremder wäre. Zum anderen liegt er einem so am Herzen, dass eine unversöhnliche Haltung einem auch den Umgang mit dem eigentlich teuren Menschen erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht.
Drittes Kriterium könnte sein, wie gross die Gefahr ist, dass das wieder passiert. Sieht der Verletzende seine Fehler ein, will sich ändern, will das gleiche in Zukunft vermeiden, fällt es leichter zu vergeben, als wenn er sich auf den Standpunkt stellt, unschuldig zu sein, nichts getan zu haben, die Verletztheit des Getroffenen vielleicht sogar noch in Frage stellt und als Fehler des Verletzten auslegt.
Viertes Kriterium ist sicher das Motiv der Verletzung. Steckte Absicht, böser Wille dahinter oder waren es andere Beweggründe oder schlicht Unwissenheit, ein Versehen, Unbedachtheit? Boshaftigkeit zu verzeihen fällt sicher schwerer als Unbedachtheit. Beim ersten sieht man sich direkt als gewünschtes Opfer einer Verletzung, beim zweiten fällt es leichter, ein Auge zuzudrücken.

Vermutlich gibt es noch viele weitere Kriterien, allen voran die Art des Kontaktes mit dem anderen. Wenn ich diesen jeden Tag sehe, ihm nicht aus dem Weg gehen kann, ist es zwingender, mit ihm einen Umgang zu finden, der nicht täglich mit schlechten Gefühlen belastet ist. Wenn das nicht der Fall ist, funktioniert die Haltung "aus den Augen aus dem Sinn" besser, sofern man es auch selber zulässt und nicht ständig daran rumstudiert.

So oder so lässt sich wohl sagen, dass eine nachtragende Haltung zuerst einem selber schadet. Man selber vergiftet das eigene Denken und Leben mit den negativen Gefühlen und Gedanken, dreht sich in einer negativen Spirale und leidet darunter. Wenn der andere überhaupt etwas davon mitkriegt, ist es für ihn trotzdem nicht so belastend, da es nicht in ihm dreht, sondern in einem selber. Man kann also sagen, dass es so oder so - für einen selber - wichtig ist, eine versöhnliche Haltung mit dem Geschehenen einzunehmen. Für den weiteren Umgang mit dem anderen bleibt zu überlegen, wie wichtig einem dieser ist. Wenn der Mensch sehr wichtig ist und man ihn nicht verlieren will, bleibt wohl nur, zu "vergeben und vergessen" zu tendieren, denn ein Umgang, bei welchem ständig die alten Verletzungen auf den Tisch kommen, wird sich über kurz oder lang selber vergiften. Ob man das kann, hängt mit verchiedenen, teils oben genannten, Kriterien zusammen. Und dann gibt es vielleicht noch die Fälle, bei welchen man zum Schluss kommt, dass es keinen gemeinsamen Weg mehr gibt, weil die Verletzung zu tief geht.

Wichtig ist sicher immer, sich selber zu fragen, was genau einen wirklich verletzt hat, ob es der andere war oder aber eigene Prägungen und Gedanken, welche durch dessen Verhalten losgetreten wurden. Ab und an stösst ein Aussenstehender in eine Wunde, die schon vor dem Stoss da war, nun aber schmerzt. Dann tendieren wir dazu, den Zustossenden verantwortlich zu machen für den Schmerz, statt zu sehen, dass dieser Schmerz schon vorher in uns angelegt war. Wenn wir uns aber entschliessen, dass es einer Verletzung wegen keine Zukunft mehr gibt, sei es, weil das Vertrauen zerbrach, sei es, dass die Wunde zu tief sitzt, sei es, weil schlicht die Basis verloren ging, dann hilft es erst recht, loszulassen. Die Verletzung und den Menschen. Den Menschen aus dem Leben zu streichen, ihm aber mit den Gedanken immer noch nachhängend und nachtragend hilft weniger als nichts. Damit fügen wir uns selber ständig neue Wunden zu durch unser Denken.

Betrachtet man das Beispiel der TRC, hilft im ganzen Prozess sicher, einander die Möglichkeit zu geben, sich zu erklären. Nur so wissen beide, was wirklich passiert ist, was in beiden vorging während der Verletzung und was beide daraus ziehen - für sich selber, für das Miteinander. Hüllt man sich in Schweigen, zieht sich zurück, versucht die Vergangenheit für sich selber zu klären, die Beweggründe des anderen selber vorwegnehmend, wird man nie zur wirklichen Wahrheit von beiden stossen, sondern sich in seiner eigenen kleinen Welt im Kreis drehen. Oft mit falschen Hypothesen, die schlussendlich in die Irre führen. Die Wahrheit über die Vergangenheit kann helfen, diese Vergangenheit einzuordnen, zu bewerten und für sich selber zu verarbeiten. Und damit bringt diese Wahrheit Frieden. Inneren wie auch äusseren - egal, ob die Beziehung (wie auch immer gelagert) fortdauert oder nicht.

Schlussendlich bleibt zu sagen, dass Vergeben sowohl für einen selber als auch für das Miteinander eine wichtige Voraussetzung ist. Nur wenn wir es schaffen, uns selber und anderen zu vergeben, kehrt in uns selber und im Austausch mit dem anderen Frieden ein. Wenn man diesen Schritt gegangen ist, bleibt zu überlegen, wie die Basis zum anderen nun aussieht, was man sich zumuten kann und will, womit man leben will. Bleibt eine ständige Angst vor neuer Verletzung, ist es wohl ehrlicher, in Frieden auseinanderzugehen. Fühlt man die Zuversicht, dass es nicht wieder vorkommt, tut man sich selber und dem anderen einen Gefallen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und in die Zukunft zu schauen. Nichts hält Fehler der Vergangenheit so präsent wie die eigene Erinnerung und die Gedanken dazu.

Donnerstag, 12. Juli 2012

Allem gerecht werden

Ich hatte zeitlebens einen Traum: ich wollte Hausfrau und Mutter werden. Kein wirklich zeitgemässer Traum in einer Zeit, in der Frau die neuen Rechte leben MUSS, in der es nicht statthaft ist, nicht zu arbeiten. Die erste Frage bei neuen Bekannten ist immer: "Was arbeitest du?" Ein "ich bin zu Hause" wird mit Augenbrauenheben quittiert. Was eine zeitgemässe Frau ist, die etwas auf sich hält, die arbeitet. Gefälligst. Wofür haben wir sonst gekämpft? Die, welche so denken, sind wohl die, welche nie gekämpft haben, aber die Identifikation ist natürlich etwas Schönes. (ich habe eine andere Definition von Emanzopation, doch die tut hier nichts zur Sache)

Nun gut, ich stürzte mich nicht gleich ins Abenteuer Familie, sondern studierte erstmal. Das war Ziel seit Schulbeginn. Das stand ausser Diskussion. Nie in Konflikt mit dem Hausfrauentraum. Das Hirn wollte beschäftigt sein, musste es sein, war es sowieso ständig. Das Studium war toll, wenn auch nicht ganz einfach, eher unruhig durch all die Arbeitsunterbrüche. Beziehungen kamen, gingen, das Studium blieb. Der Hausfrauentraum kam näher, ich heiratete, das Kind kam. Familie konnte starten. Leider nicht ganz so traumhaft wie gewünscht, die Familienidylle platzte ziemlich schnell, Opfer von verschiedenen Dingen, die heute nicht mehr zählen, es ist, wie es ist. Eine Welt brach zusammen. Der Traum war weg, da stand ich nun.

Die Zeiten waren schwer, das Studium nicht fertig, die Familie im Eimer, das Kind klein. Dazu noch eine Schlacht, die gekämpft werden wollte. Ich hätte den Kopf in den Sand stecken können und sagen: ich mag nicht mehr, alles zuviel. Ich gebe auf. Jeder hätte es verstanden. Aber ich hatte eine Verantwortung. Dem Kind gegenüber. Mir selber gegenüber. Dem Leben gegenüber. Zudem hatte ich das Pech, dass ich schlicht nicht einfach zusammenbreche, sondern weiterlaufe... egal, wie kraftlos ich bin.

Während andere Tag und Nacht Masterarbeit schrieben und über Monate nichts anderes taten, als sich auf die Prüfungen vorzubereiten, hatte ich Tag und Nacht einen Säugling um mich, später ein Kleinkind. Und war alleine damit. So beendete ich das Studium, nicht mal schlecht.Was nun? Die einzige Konstante in meinem Leben war weg. Das, was mir so viel Halt und Kraft gab. Und ein kleines Kind war da. Und niemand, der uns ernährte. Niemand, der uns unterstützte. Vor allem mental. Und mein Anspruch, mein Kind selber aufzuziehen noch da. Ich bewarb mich für ein Stipendium für eine Dissertation. Ich hatte Glück, die Noten halfen wohl mit. Ich bekam es. Ich fing zu schreiben an, bewarb mich für ein zweites Stipendium. Erhielt auch das und schrieb weiter. Das Leben wurde nicht einfacher. Als alleinerziehende Mutter wurde ich offensichtlich und explizit diskrimiert. Ich erhielt Stellen nicht mit der Begründung, dass ich sie als alleinerziehende Mutter nicht bewältigen könnte. Man wollte mir mein selber erarbeitetes Stipendiumsgeld wegnehmen mit der Begründung, ich würde eh nur mein Kind durchfüttern damit und keine Dissertation schreiben. Und am Schluss stand noch mein Titel auf der Kippe, weil mein Fazit, dass man Völkermordsleugner mit einem speziellen Strafrechtsparagraphen konfrontieren müsse, nicht genehm war - trotz sauberer (und vorherig angenommener) Argumentation.

All das habe ich überstanden. Oft am Limit. Oft kämpfend. Oft nicht mehr könnend. Mich immer wieder aufrappelnd. Ich musste ja. Ich hatte eine Verantwortung. Ein Kind. Das ich tagsüber betreute, nachts meine Dissertation schrieb. Schlafen? Überbewertet. Die Decke kam oft bedenklich nah. Von aussen hörte ich: wann arbeitest du endlich mal? Man kann doch nicht nur zu Hause sein, Hausfrau sein? Sagte ich, ich schreibe eine Dissertation... war ich zu klug. Und fiel so durch die Maschen. Vor allem Männer fanden das abschreckend. "Du bist klüger als ich" war das häufigste Argument, gleich gefolgt von "was verdienst du damit und kannst du davon leben?".

Wieso ich den Weg wählte (abgesehen davon, dass bei der Immatrikulation klar war, ich will promovieren)? Ich konnte zu Hause bei meinem Kind sein, ihm den Halt geben, den es brauchte. Es hatte schon keine intakte Familie, ich wollte wenigstens da sein. Und das tat ich. Aus Liebe und aus Verantwortung. Das Kind wird grösser, die Dissertation ist durch. Wie weiter. Schreiben. Das muss es sein. Das ist so klar wie Klossbrühe. Doch das geht doch nicht. Das tut man nicht. Man muss arbeiten. Was Richtiges. Und ich bewerbe mich immer mal wieder. Will ja nicht immer ins Stocken kommen bei der ersten mir gestellten Frage: "Was arbeitest du?" Will ja ein wertvolles Gesellschaftsmitglied sein. Leider stellt kaum einer ohne Doktortitel einen mit Titel ein. Doch die beste Absage kriegte ich heute: "Sie sind zu eigenständig. Wir denken, sie wollen sich einer Teamarbeit nicht aussetzen." Toll. Wäre ich doch nach der Trennung eingebrochen. Hätte ich doch bewiesen, dass ich nicht auf eigenen Füssen stehen kann. Muss. Dann wäre ich wohl angepasst genug.

War es ein Fehler, für mein Kind dasein zu wollen? War es ein Fehler, von zu Hause zu arbeiten bei der Dissertation, danach freischaffend, um das Kind nicht zum Schlüssel- und Hortkind zu machen? War es weltfremd, zu denken, man könne die Mutterzeit geniessen und leben, daneben durchaus arbeitend, wenn auch nicht gesehen von der sogenannten Gesellschaft?

Ich bin also zu eigenständig für eine Stelle. Das erinnert mich an eine Kritik an einer Studienarbeit: "Sie haben den Fehler gemacht, selber gedacht zu haben." Den Fehler werde ich wohl immer und immer wiederholen. Und damit anecken. Da ich sensibel bin, wird jede Ecke eine Narbe hinterlassen. Ich kenne mich aber mittlerweile gut genug, zu wissen, dass ich nicht aufhören will zu denken. Es auch nicht kann. Und so mache ich nun endgültig eigenständig weiter. Dankbar darum, dass es Menschen gibt, die wissen, dass ich sehr teamfähig bin, dankbar drum, dass es Menschen gibt, die hinter mir stehen, neben mir und vor mir. Dankbar drum, dass ich mein Denken habe, mein Schreiben. Und dankbar drum, dass es Menschen gibt, die an mich und daran glauben. Mehr ab und an, als ich selber. Aber ich arbeite daran.

Ich wollte nie persönlich werden in meinem Blog. Das hier war die Ausnahme der Regel. Mit grossem Dank an den einen immer an mich Glaubenden. Und mit Dankbarkeit an mein Denken, mein Sein. Denn das ist es, was mich ausmacht. Das mir auch das Leben schwerer macht. Aber ohne das - wär ich nicht ich. Und irgendwann lerne ich vielleicht, dass es nichts bringt, anderen und deren Erwartungen gerecht werden zu wollen. Man kann nur sich selber gerecht werden. Nicht egoistisch, nicht gegen die anderen, nicht sie ausnützend oder verletzend, aber für sich, das eigene Leben und die eigenen Wege.

Dienstag, 10. Juli 2012

Ring um Ring in die Zukunft

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und kreise jahrtausendelang;
und weiss noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein grosser Gesang.

Rainer Maria Rilke, 20.9.1899, Berlin-Schmargendorf

Mit dem ersten Schritt in dieser Welt nehmen wir Eindrücke wahr, hören Stimmen, fühlen Dinge. All das prägt unseren zweiten Schritt, die folgenden mit. Jeder weitere Schritt trägt in sich die vergangenen Schritte, trägt sie mit zum  nächsten Schritt. Jeder weitere Schritt ist damit Folge der letzten Schritte und zugleich basiert der nächste auf ihm. Und so nimmt das Leben seinen Lauf, hinein in eine immer weiter führende Spirale.

Im Rückblick gäbe es vielleicht das eine oder andere, das man lieber ausgelassen hätte. Man sieht Ringe, die man nicht hätte erleben wollen. Und doch haben sie dazu geführt, was heute ist. Ohne diese Ringe wäre der heutige nicht da. Wir können nie sagen, ob das gut oder schlecht ist. Es ist, wie es ist.

Im Wissen um die Wichtigkeit des einzelnen Schrittes stellt sich oft die Frage: Was ist richtig, was falsch? Welchen Schritt soll ich gehen, wofür mich entscheiden? Wo führt mein Weg hin, wenn ich mich für das eine oder andere entscheide? Wer will ich sein, wo will ich überhaupt hin? Und oft scheitert es an der letzten Frage. Das Wollen konkurriert mit dem Sollen und dem Müssen. Oft nicht mal bewusst. Und man sieht sich in der Mitte stehend, Wollen, Sollen, Müssen mit Argumenten um sich schlagend, alle klingen sie gut, die des Wollens am leisesten, die des Sollens etwas lauter, die des Müssens erschlagend laut. Das Wollen zieht sich kleinlaut zurück, das Sollen brüstet sich, das Müssen setzt sich durch.

Wer bestimmt das Müssen? Wer ist Regisseur in unseem Leben? Wer bestimmt das Sollen? Wer hat die Befehlsgewalt in unserem Leben? Wer das Wollen? Die letzte Frage ist einfach: Man selber. Dann wird es schwierig. Noch schwieriger wird es, wenn man erkennt, dass Sollen und Müssen zwar wie eigene Stimmen klingen, schlussendlich aber von aussen kommende Meinungen sind, die über Tag und Jahr so in einen hineinflossen, dass sie nun als quasi eigene wieder hinausströmen.

So sitzt man dann da, denkt sich, was man gerne hätte, denkt sich, was die anderen von einem erwarten, was die Gesellschaft erwartet, scheltet sich nen Toren und versucht, den Weg zu gehen, der angezeigt wäre - aus der Sicht von aussen, wie man sie im Innern sieht. Man denkt, so das Richtige zu tun. Wieso nur fühlt es sich so wehmütig an? Wie ein kleiner Tod? Das kann nur die eigene Narrheit sein. Diese hirngestrickten Phantasien von eigenem Wollen, die jeglicher gesellschaftlichen Realität zuwidersprechen. Und doch: tief drin sind sie da. Und motzen beim blinden Folgen von Sollen und Müssen. Wie mein Sohn es tut, wenn ich ihm was verbiete. Sie ziehen den Kopf ein, lassen die Schultern vornüber hängen, schlarpen leise davon, dafür umso lauter schimpfend. Wie kann sie nur? Wieso tut sie das? Was soll das überhaupt? Was ist schon Sollen? Was Müssen? Wieso werden wir nie erhört?

Das Leben ist mit sehr vielen Pflichten gefüllt. Diese stammen meist von ausen. Frei nach Rousseau finden wir uns in Ketten wieder, nachdem wir frei geboren wurden. Meistens jedoch sind die Ketten selbst auferlegt. Alle Ketten, die wirklich verpflichtend sind, entstammen dem gesunden Menschenverstand über ein angenehmes Zusammenleben. Sie handeln davon, sich so zu verhalten, dass niemand Schaden nimmt, man selber auch nicht. Die hält man im Normalfall automatisch ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand dahin geht und denkt: Ich schade nun allen, mache allen das Leben schwer (klar, die gibt es, aber das ist nicht die Norm, nicht das gesunde Denken, eher eine falsche Prägung, die Trotz, Ekel, Hass und Wut hervorbrachte). Der ganze Rest ist selbstauferlegt. Aus Gründen. Klar. Die klingen einleuchtend. Relevant ist die eigene Haltung dazu. Will ich das? Wirklich? Kann ich damit umgehen, damit nicht im grossen Teich zu schwimmen, sondern eher alleine? Und aufgrund dieser Erwägngen gilt es dann, einen Weg zu wählen. Und ihn zu gehen. Im Bewusstsein, dass es der eigene Weg ist. Frei gewählt. Man kann Richtungsänderungen vornehmen. Aber man sollte sich immer bewusst sein: Man hat(te) es in der Hand. Zum grossen Teil.

Und so lebe ich mein Leben. In Ringen. Immer weiter. Und hoffe, ich kann in den meisten Zeiten sagen: Es ist gut so, das ist der Ring, den ich wollte. Den Ring mag ich.

Zuhause oder Glaube an dich

Vor einiger Zeit beschloss ich, umzuziehen. Die Entscheidung hatte Gründe, viele, gute, üerzeugende. Ich suchte also eine Wohnung da, wo ich hinwollte, fand sie auch, obwohl der Wohnungsmarkt nicht einfach ist. War glücklich. Hier könnte man den Vorhang senken, Happy End schreiben.

Irgendwie fängt die Geschichte erst hier an. Ich stellte mir nämlich nun vor, was für Bemerkungen ich für meinen erneuten Umzug ernten würde. Das verursachte mir Magenschmerzen. Dass ich im Leben oft umgezogen bin, steht ausser Frage. Trotzdem mochte ich die ewigen Witzchen und Bemerkungen nicht mehr ertragen. Klar könnte man sie einfach wegstecken. Doch so bin ich nicht. Ich hinterfrage immer - am meisten mich. Und hintersinne mich. Ich beschloss, den Umzug für mich zu behalten. Da und dort sickerte er durch. Am Schluss hielten sich die Bemerkungen im Rahmen, meine ganzen Gedanken waren umsonst. Hätte ich sie mir erspart, wäre es beim oben genannten Happy End geblieben.

Nur: Ich hörte eine abschätzige Bemerkung über meinen neuen Wohnort. Da würde man nie wohnen wollen. Es sei ganz schlimm und hässlich da. "Little Istanbul" wurde es genannt. Als Betonwüste verschrien. Und ich sass da und fragte mich: Haben sie alle recht? Ziehe ich ins Unglück? Ist die Freude, die ich spüre, eine Illusion, die platzen wird, sobald ich dort bin? Ganz leise drang auch durch, dass es eigentlich frech ist, etwas abschätzig als Little Istanbul zu bezeichnen. Dass es abgesehen von mangelndem Taktgefühl hauptsächlich eine eher abschätzige Haltung gegen ausländische Mitbürger offenlegt. Die man trotz gross posaunter Toleranz doch lieber weit weg hat. Natürlich kam bei mir kurz der Gedanke von wegen Schule für das Kind und anderer Probleme auf. Und irgendwie war die Umzugsfreude weggeblasen. Ich hinterfragte. Mich, meine Entscheidung, alles.

Was, wenn sie alle recht haben? Wenn ich nicht umziehen sollte? Wenn der neue Ort schlimm wäre? Ich mich nicht wohl fühlte? Sohnemann sich nicht wohl fühlte. Keinen Anschluss fände, schlechte Schulen hätte? Und dann kam noch dazu: Bin ich weniger wert, wenn ich nach Little Istanbul ziehe als wenn ich im Schickimickiviertel wohne? Sind die Bewohner von Little Istanbul wenig wert? Woran gemessen? Wer setzt den Massstab? Langsam sah ich die Realität wieder klarer und die Freude kam wieder auf.

Dann zog ich um. Chaos pur. Umzugsmänner überfordert, alles dauerte länger, Wohnung schien klein, alles Chaos. Nerven blank. Aber: Der Spaziergang mit dem Hund war toll. Ich lief durch das ganze Quartier und ein wenig weiter. Und ich war begeistert. Es war schön. Es war grün. Es war städtisch. Es war - endlich wieder Zuhause. An diesem Ort wohnte ich, bevor die Schweizer Reise losging... und hierher war ich zurückgekehrt.

Die Kisten schwinden, die Spaziergänge werden mehr. An Bächen entlang, über Wiesen, Felder. Beim Einkaufen plaudere ich mit den Verkäuferinnen, Nachbarn schon kennengelernt. Es ist schön. Es ist, wie ich es kannte. Es ist toll. Wie ich es wünschte. Nur eines nervt: Dass ich mir von anderen die Freude vermiesen liess. Dass ich fremde Stimmen höher wertete als meine eigene. Wieso? Selbst wenn ihre Einschätzung für sie selber stimmte, wieso ging ich davon aus, sie könne auch für mich stimmen? Kennen sie mich wirklich? Stecken sie in meinen Schuhen? Taten sie es je? Klar nein. Und einmal mehr die Lehre:

Es gibt nur einen, der dein Leben leben kann: Du selber. Bau auf dich, vertrau auf dich, gehe deinen Weg.

Klar ist es immer sinnvoll, Argumente von anderen zu berücksichtigen, zu prüfen. Aber nur, wenn es wirklich Argumente sind. Fundierte. Für mich kann ich sagen: Ich bin Zuhause. Endlich wieder. Und es fühlt sich gut an. Für uns alle.

Hier noch ein paar Bilder von der ach so schrecklichen neuen (alten) Heimat:





Montag, 9. Juli 2012

Das Ich, die Anderen und das Glück

Heutzutage herrscht in allen in allen Bereichen des Lebens Wettbewerb. Und genau dieser ist es doch, der die Menschen ins Unglück stürzt. Man vergleicht sich nach aussen, zieht aus diesem Vergleich Unzufriedenheiten und ist fortan damit beschäftigt, den Vergleichspunkt einzuholen. Man entfernt sich dabei von sich selber und rennt (oft unerreichbaren) Zielen hinterher.

Der andere ist schöner als ich. Der andere ist erfolgreicher als ich. Der andere ist reicher als ich. 


Ist Schönheit alles? Ich denke nicht, dass sie im Leben wirklich hilft. Vielleicht öffnet sie erste Türen, aber dann muss mehr dahinter stecken - meistens. Sie kann auch Türen in Bereiche öffnen, die man gar nicht wollte. Weil nur die Schönheit anzog, nicht der Mensch. Und sie kann, wenn die Tür mal offen ist, auch Druck erzeugen, bestehen zu müssen. Der kann belasten. Man sehe die Welt der sogenannt Schönen und Reichen. Wie viele haben Probleme mit Süchten, mit Abhängigkeiten, mit Depressionen? Sind sie glücklich? Sie haben doch alles? Sind schön, haben Geld, haben Erfolg, haben Beachtung. Und doch - glücklich sind sie nicht. Es gibt ein paar, die scheinen glücklich zu sein - man sieht ja nur dran ran, nie hinein. Aber der grosse Anteil ist das nicht.

Bin ich schön? Wenn ich die ganzen Magazine ansehe sicher nicht. Früher litt ich oft, fand überall Dinge, die ich bemängelte, war ab und an sogar traurig, weil ich war, wie ich war. Das Alter hat da sicher eine Gelassenheit gebracht. Ich bin heute grundsätzlich zufrieden mit mir. Habe klar Punkte, die ich mit Handkuss ändern würde, aber mein Gott, auch wenn sie geändert wären, ginge es mir nicht besser.

Reich bin ich schon gar nicht. Aber auch da: wäre ich glücklicher anders? Wirklichen Reichtum strebe ich nicht mal an, ich wüsste wenig damit anzufangen, würde mein Leben nicht gross ändern wollen. Ein wenig mehr für ein paar Wünsche. Das wäre toll. Aber nun gut, ob ich dann glücklicher wäre? Ich bezweifle es.

Ich habe im Leben gemerkt, dass die Momente, in denen ich unglücklich bin, selten mit äusseren Faktoren zu tun haben. Meist sind es Stimmungen, die aus mir selber kommen, die ich mir selber herbeischaffe. Vielleicht ist ein Anstoss von aussen da, etwas, womit ich unzufrieden bin. Doch ist es schlussendlich ja immer meine innere Haltung dazu, welche mich glücklich oder unglücklich macht.

Ich habe für mich die These, dass wir ein gewisses Mass an Unglück brauchen. Wir suchen es wohl fast. Die These ist ein auch ein Schluss aus der Erkenntnis, dass auch die, welche (wie man sagen könnte) alles haben, unglücklich sind. Sie suchen (unbewusst) und finden. Und leiden. Und wollen das Leiden beheben, indem sie das beheben, was sie unglücklich macht. Und das sind meist die eigenen Gefühle. Und die betäubt man am besten mit Mitteln, die sie überdecken: Drogen, Alkohol, andere Süchte.

Und so bleibt am Schluss einmal mehr nur, mit sich selber ins Reine zu kommen. Anzunehmen, was ist, zu sehen, was wirklich möglich ist, weil man es selber für sich will und nicht, weil andere es haben. Und das Leben zu leben, das das eigene ist. Das eines anderen wird man nie leben können. Ein anderer sein kann man auch nie. Zudem gibt es schon genug andere, einen selber gibt es nur einmal. Und das sollte auch so bleiben.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Bilanz

Abschied ist oft traurig, da es heisst, etwas loszulassen, was bislang zum Leben gehörte, dies vielleicht massgeblich prägte, ausmachte. Abschied bringt dann Wehmut hoch. Ist der Abschied selbst gewählt, steckt klar eine positive Absicht dahinter, trotzdem bleibt das weinende Auge. Das, welches sieht, was vorbei ist, was nie mehr sein wird.

In jedem Abschied wohnt ein Anfang inne. 

Ich glaube, das hat niemand so geschrieben, mir kommt es aber immer in den Sinn und ich denke, es sei ein Zitat. Vermutlich ist es aber aus Hesses Stufen zusammengereimt - die Essenz des Gedichtes sagt genau das:

Stufen
Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Hermann Hesse)

Ich liebe dieses Gedicht, weil es das Leben in seinem Wandel zeigt. Es zeigt, dass wenn etwas aufhört, auch etwas anfängt. Und doch, eine kleine Wehmut bleibt. Und eigentlich ist die auch positiv, da sie zeigt, dass das Leben, wie es bislang war, gut war, gute Seiten hatte. Ich fände es bedenklicher, wenn nur Freude, nur Aufbruch herrschte.

Ein Abschied ist immer auch Zeit, Bilanz zu ziehen. Was war? Was war gut? Was würde ich ändern? Solche Bilanzen haben oft zur Folge, dass man Entscheidungen der Vergangenheit hinterfragt, bedauert, denkt, man hätte falsch gehandelt. So ist es auch bei mir. Mit Wehmut denke ich an gewisse Punkte in meinem Leben, denke, sie waren unnötig, ich häte mein Leben anders gestalten können, hätte ich damals anders entschieden. Ich denke, ich hätte mir manches Leid, manchen Umbruch ersparen können. Mag wohl sein aus der Sicht von heute. Damals hatte ich Gründe. Und entschied aufgrunde derer. Kierkegard sagte treffend: Das Leben lebt sich nur vorwärts und erklärt sich nur rückwärts. Wir sind heute immer klüger als gestern. Aber auch nur, weil wir heute wissen, wie das Heute ist. Gestern wussten wir es nicht. Wir stellten Hochrechnungen an. Dachten an Folgen und Ursachen. Reagierten auf Spekulationen. Und stellten unsere Planung darauf ab. Nach bestem Wissen und Gewissen.

Aus genau diesem Grund ist es auch hinfällig, die Vergangenheit zu betrauern. Wir taten damals unser Bestes und landeten damit da, wo wir heute stehen. Wo wir gelandet wären, hätten wir anders entschieden, wissen wir nicht. Reine Spekulation. Heute das Gestern zu betrauern, hiesse, sich auf Spekulationen abzustützen und dadurch Leid zu spüren. Das wäre schlimmer als jede falsche Entscheidung der Vergangenheit - wobei die Wertung falsch oder richtig immer schwer zu fällen ist.

Und so ist es, wie es ist und ich bin dankbar. Ich bin zufrieden im Heute. Habe etwas Wehmut für das, was ich zurücklasse, einfach, weil es vertraut war. Freue mich aber sehr auf das Neue.

"Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!"

Mittwoch, 4. Juli 2012

Schmetterling und Maulwurf

Es waren einmal ein Maulwurf und ein Schmetterling. Sie trafen sich, fanden sich nett, beschlossen, den Weg zusammen zu gehen. Der Schmetterling liebte den Maulwurf, weil er genau so war, wie er sein wollte. Er bewunderte ihn, weil er die schönsten Löcher buddelte und darin leben konnte. Wie gerne hätte der Schmetterling das auch gekonnt und sein eigenes Unvermögen nagte oft an ihm.

Der Maulwurf liebte den Schmetterling, weil dieser so schön fliegen konnte. Wie oft hatte sich der Maulwurf gewünscht, auch fliegen zu können. Er sah sich im Geiste durch die Lüfte gleiten, stellte sich vor, wie die Wiesen und Wälder von oben aussehen würden. Und insgeheim dachte er ab und an, er wäre eigentlich auch ein Schmetterling, nur im falschen Körper.

Weil die beiden so gerne der jeweils andere gewesen wären, verstanden sie sich gut. Jeder konnte sich in den andern hineinfühlen. Doch es nagte an beiden, dass sie nicht waren, wovon sie mal träumten. Irgendwann hielten sie das innerliche Nagen nicht mehr aus und trennten sich. Zwar waren beide traurig, aber sie konnten nicht mehr damit umgehen zu sehen, wie der andere sich zermartert. Der Schmetterling war es müde, des Maulwurfs vergeblichen Flugversuche anzusehen, die immer im Fiasko endeten. Der Maulwurf ertrug es nicht, zu sehen, wie sich der Schmetterling immer wieder die Flügel stutzte beim Versuch, in Höhlen zu krabbeln.

So lebte jeder sein Leben, jeder lernte mehr über sich selber. Ab und an blickten sie zurück auf die gemeinsame Zeit, mit Wehmut, mit Liebe, mit Wut, mit Trauer. Und lebten wieder weiter, versuchten, ihr Leben aufzubauen. Bis sie sich wieder trafen. Und merkten, dass es doch einen Weg geben könnte. Der Maulwurf sagte zum Schmetterling: "Ich werde für dich Löcher graben, in die Tiefe steigen und dir erzählen, was ich da unten sehe." Und der Schmetterling sagte: "Ich werde für dich in die Lüfte steigen und dir erzählen, wie die Welt von oben aussieht."

Auf diese Weise hatten sie die ganze Welt für sich, jeder trug seinen Teil dazu bei. Und sie merkten - jeder für sich - dass ihr Teil wichtig für das Ganze war, denn nur zusammen war es umfassend.
"Danke, dass du für mich gräbst, Maulwurf!" - "Danke, dass du für mich fliegst, Schmetterling!"

Das muss Liebe sein.

Dienstag, 3. Juli 2012

Sinn und Wert

Ein weiser Mann erzählte mir mal folgendes:
Es gibt ganz viele Menschen, die sind Maulwürfe. Sie leben ihr Leben in ihren Höhlen, tun, was Maulwürfe tun und sind zufrieden in ihrem Sein. Dann gibt es einige Menschen, die sind Schmetterlinge. Sie hören von den Maulwürfen immer: "Komm endlich in die Höhle, tue, was wir tun, so gehört sich das, so ist das Leben." Und die Schmetterlinge denken dann: "Ich bin falsch. Ich muss mich ändern. Ich muss in diese Höhle."
Insgeheim merken sie, dass sie in der Höhle nicht glücklich werden. Doch sie hören in sich drin die Stimme: "Ich muss in die Höhle, ich bin nicht normal."

Einige Schmtterlinge fliegen wohl in die Höhle. Sie gehen ein. Andere fliegen weiter, überhören die Stimmen. Noch andere fliegen, hören die Stimmen - von aussen und innen - und hintersinnen sich. Immer wieder. Denken, sie sind nicht richtig. Denken, sie passen nicht in diese Welt. Denken, sie müssten anders sein. Wünschen sich ab und an, in Höhlen zu leben. Merken dann, dass sie es nicht können. Fliegen weiter. Freuen sich am Flug. Kurz. Um dann wieder zu denken: "Ich müsste in diese Höhle. Verdammt, was mache ich da?"


Es gibt Tage, da fühle ich mich wertlos. Da denke ich, die ganze Welt liefe genau gleich, gäbe es mich nicht.
Es gibt Tage, da hadere ich mit dem Schicksal, wünschte mir, ich wäre anders. Dann denke ich, nichts auf die Reihe zu kriegen, nicht normal zu sein, nicht so zu sein, wie man sein müsste.
Es gibt Tage, da sitze ich hier und frage mich, was das alles soll, was ich tue, wieso ich tue, was ich tue, für wen ich tue, was ich tue.
Es gibt Tage, da ist die Welt aus den Fugen und ich mit ihr.
Es gibt Tage, da ist alles aus dem Lot, ich weiss nicht mal mehr, was ein Lot wäre und wenn ich es sähe, würde ich es nicht für mich passend empfinden, gleichzeitig verfluchend, dass es nicht passt und mich verfluchend, weil es nicht passt und weil ich das nicht Passen verfluche.
Frei nach dem Schaf: Alles ist doof. Aber ganz alles. Sogar das Du, das da ist oder nicht, es ist in beiden Zuständen doof. Und noch mehr ist das Ich doof. Das ist immer da und genau so, wie es ist, doof ist. Und im Dasein noch doofer. Bin ich ein Schaf?

Muss der Schmetterling in die Höhle? Darf er fliegen? Was ist richtig, was ist falsch? Wer ist mehr wert? Schmetterling oder Maulwurf? Wer hat mehr Daseinsberechtigung? Worin besteht der Sinn des Lebens? Was ist besser?

Wir werden in unserer Welt sehr darauf getrimmt, hinter allem einen Sinn zu suchen. Der Sinn hinter den Dingen macht die Dinge mit dem Verstand fassbar. Und nur, was mit dem Verstand fassbar ist, ist auch real. Ist da. Kann man einordnen. Dann fühlt man sich gut. Sinn alleine reicht aber nicht. Es muss auch noch einen Wert haben. Und der sollte sichtbar sein. Fühlbar. Nutzbar. So funktioniert das Leben, die Gesellschaft.

Wir lernen das von klein auf. Gute Leistungen bringen Lob, bringen Geschenke, bringen Liebe oft. Schlechte bringen Tadel, bringen Enttäuschung der andern und damit bei uns selber. Wie viele Kinder fürchten die Zeugnisse, weil sie die Reaktion ihrer Eltern fürchten. Wie viele Kinder versuchen alles, es ihren Eltern recht zu machen, weil sie Liebe wollen. Weil sie zeigen wollen, dass sie die Liebe wert sind. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Aber was er lernt, verlernt er auch nicht mehr. Und so sitzen die Muster tief. Sie prägen. Hängen nach.

Und dann sitzt man da und denkt: "Ich muss genügen. Ich muss Leistung zeigen. Ich muss es wert sein. Ich will geliebt werden. Also wo ist diese verdammte Höhle, ich muss da rein. Ich will auch so sein." Und flattert dabei mit den Flügeln. Und findet das Flattern gut. Weil es ist, was entspricht. Und denkt: "Aber es bringt nichts. Es ist nur Flattern. Es baut keine Höhlen. Es hat keinen Wert. Und die andern sind so viele. Ich flattere hier alleine."

Und da ist da einer. Der sagt: "Ich liebe dich, wie du bist. Ich will dich fliegen sehen. Flieg, kleiner Sommervogel, flieg." Und man denkt: "Das kann nicht sein, der irrt." Zu tief sind all die Muster, zu tief sind all die Prägungen. Und er wird nicht müde, zu betonen: "Flieg. Du bist ein Sommervogel, kein Maulwurf. Und Sommervögel sind gut so, wie sie sind. Sowie auch Maulwürfe gut sind, wie sie sind." Und man weiss, er hat recht. Und man weiss, so soll es sein. Und man denkt, das ist die Wahrheit. Und man hofft, man glaubt sie mal.

Wohin?


Was ist mein Sinn,
wo liegt er drin?
Was ist mein Zweck,
was tauge ich?
Was ist der Weg,
wo führt er hin?
Wie find ich ihn,
wie kann ich geh’n?
Was ist das Ziel,
wann seh’ ich es?
Wie komm ich hin,
was muss ich tun?

Sonntag, 1. Juli 2012

Freiheit und Einsamkeit




Udo Jürgens singt "du sagst, du bist frei und meinst dabei, du bist alleine". Ist der Preis für Freiheit Einsamkeit? Ist die Suche nach Freiheit ein Weg, der in die Einsamkeit führt? Führen muss?
Ich bin ein Mensch, der immer viele Freiheiten suchte im Leben, Zwänge mied, Druck auswich. Ich liebte die Freiheit, das zu tun, was ich tun wollte, suchte die Unabhängigkeit, weil sie mir genau das ermöglichte. Das Gefühl der Einsamkeit ist mit wohlvertraut. Es kommt immer mal wieder hoch. Wie eine Welle schwappt es über mich. Nimmt mich ein. Ist das der Preis, den ich zahle für meinen Lebensweg?

Rousseau schrieb, der Mensch sei frei geboren, liege aber überall in Ketten. Woher rühren diese Ketten? Sie sind, so Rousseau, dem Umstand geschuldet, dass Menschen widersprüchliche Bedürfnisse haben,  die sich gegenseitig stören. Das macht aus dem von Natur aus guten Menschen böse Menschen in der Mehrzahl, weil sie anfangen, sich sowohl gegenseitig als auch selber zu hassen. Die Ketten, welche der Staat errichtet, dienen dazu, das Zusammenleben so zu regeln, dass es friedlich sein kann. Dazu bedarf es einiger Ketten, denn die Bedürfnisse und Interessen des Einzelnen sollen zum Wohle des Kollektivs (und damit auch des Einzelnen) im Zaume gehalten werden.

Was bedeutet nun also, wenn einer Freiheit will? Er muss sich aus dem Kollektiv entfernen, weil er sich mit der absoluten Freiheit von allen Ketten, Zwängen und Regeln nicht mehr ins Gefüge einpassen lässt. Und er will sich ja nicht einpassen, er will die Ketten sprengen. Beim Sprengen muss er sich bewusst sein, dass er damit auch die Gemeinschaft sprengt. Und dann ist der Preis die Einsamkeit.

Gibt es einen Mittelweg? Ein bisschen Freiheit für weniger Einsamkeit? Oder ist man am Schluss immer alleine? Vermisst man als Individualist in den Ketten die Freiheit und in der Freiheit die Gemeinschaft? Um in der Gemeinschaft ein wenig Sehnsucht nach der Einsamkeit zu spüren, die doch auch ihre schönen und guten Seiten hat? Ist das die ewige Suche nach dem, was fehlt? Oft spüren wir das, was fehlt, deutlicher als das, was ist.

Östliche Philosophien werden nicht müde, zu propagieren, dass man diese Sicht umkehren solle. Im Jetzt leben, das sehen, was ist, das geniessen, was ist, dafür dankbar sein. Der Ansatz ist sicher gut und richtig, doch was, wenn der Mangel schreit? Wenn er drückt und presst und manchmal fast erdrückt? Kann ich das einfach abstellen und mich dem Sein zuwenden? Wäre das nicht auch eine Art Selbstverleugnung, die mich von mir weg brächte? Wäre ich dann wirklich zufrieden, wäre ich dann wirklich ich? Oder gehört es einfach zu meinem Naturell, zu sehnen?

Goethe schrieb:

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
nach jener Seite.
Ach! Der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide
Nur wer die Sehnsucht kennt
Weiß was ich leide!

Er spricht von Sehnsucht und damit verbundenem Leiden, er spricht von Einsamkeit, weil der Geliebte weg ist. Er spricht vom Brennen in ihm drin, das die Sehnsucht entfacht. Und ich könnte wetten, er spürte genau diese Sehnsucht, dieses Brennen, als er dieses Gedicht schrieb. Und hätte er die Sehnsucht nicht, hätte er das Leiden nicht, wäre uns ein Gedicht (und wohl so manches andere Gedicht und Werk) verloren. Es wäre schade drum. Und so hat wohl auch die Sehnsucht ihr Gutes, auch wenn der Preis das Leiden und damit nicht gering zu schätzen ist.

Alles im Leben hat seinen Preis, man ist immer selber in der Lage, zu entscheiden, ob man ihn zahlen will. Diese Entscheidung zeigt auch, wie wichtig einem etwas ist - je nachdem, ob man sich dafür oder dagegen entscheidet, den Preis zahlt oder verzichtet.