Montag, 16. Juli 2012

Umzug

Wie im richtigen Leben so nun auch im Blog: Ich bin umgezogen. Neu sind meine Gedanken zu finden unter:

http://denkzeiten.wordpress.com/

Es wäre schön, wenn ihr da wieder reinschauen, vielleicht auch mal einen Kommentar fallen lassen würdet. Hier auch mal ein Danke an all die, welche meinen Blog verfolgen, danke auch für die Feedbacks, die mich auf allen möglichen Wegen erreichen. Tut gut!

Sonntag, 15. Juli 2012

Leben - vorwärts und rückwärts

Ich las heute das Buch "Dossier K." von Imre Kertész. Es handelt sich um eine (wie er betont die einzige) Autobiographie dieses tiefgründige Menschen, aufgebaut als quasi sokratische Frageform, bei welcher Frage und Antwort sich steigern zur immer genaueren Antworten auf das, was gesucht ist - hier wohl so etwas wie die Quintessenz dieses Lebens und Schreibens. Imre Kertész betont in diesem Werk mehrmals die Sinnlosigkeit der Geschichte (bei seinem Erlebten nicht verwunderlich) und das Ausgeliefertsein an ebendiese. Er verneint ein Schicksal, weil genau dieses nach Sinn fragen würde. Und er ziert sich ab und an, gewisse Dinge zu bennenen, zu erklären, da er findet, dass die nachträgliche Erklärung wiederum einen in der Originalzeit nicht sichtbaren Sinn und Zusammenhang entstehen liesse.

Es hat mich sehr berührt zu sehen, wie ein so begnadeter Schriftsteller, wie ein so tiefgründiger, feinfühliger (in Beschreibung der Umstände wie in der Wahl der dazu passenden Form) Schriftsteller selber von Selbstzweifeln geschüttelt war, wie er an sich und seinem Schreiben zweifelte, wie er durch Durststrecken lief, nur um wieder zu merken: ich muss schreiben, ich will schreiben. Er bezeichnete das Schreiben gar als sein Verbrechen, da er sich die Zeit stahl, zu schreiben, statt etwas "Sinnvolles" zu tun.
Erklärt man die Geschichte rückwärts, sieht man einen Nobelpreisträger, der sein Leben lang einer Berufung folgte. Was aber, wenn die ersten Ablehnungen der Manuskripte angehalten hätte? Was, wenn er nie ein Werk hätte veröffentlichen können? Was würde man dann sehen? Einen in die Irre Gelaufenen? Einen Phantasten? Einen Irren? Lebenskünstler, Idealist, Nichtsnutz? Als das sah er sich, ab und an. Er nagte - an sich und an den Existenzgrundlagen. Und immer wieder half eine glückliche Begebenheit, dass es weiter ging.

Doch Schicksal? Musste er schreiben? War das seine Aufgabe in diesem Leben? Durch Schriftsteller wie ihn sind die Verbrechen der Nazizeit ans Licht gekommen und da geblieben. Durch Menschen wie ihn, die schreiben mussten (auch Primo Levi nannte es seine Pflicht, zu schreiben, damit er Zeugnis ablegen könne für die, welche es nicht mehr können), erfuhr die Nachwelt, was in den Lagern anno dazumal passiert ist.

Was ist vorbestimmt? Was ist der Weg, den man gehen will, soll, muss? Und kann man ihm entfliehen? Ist der Mensch frei oder gibt es doch die vorgespurte Schiene, in die er muss? Im Rückblick liesse sich die Frage folgerichtig beantworten, da man aus den Gegebenheiten Kausalketten bilden könnte. In der Vorschau steckt man in der Spekulation fest, kann Wahrscheinlichkeiten benennen, Prognosen fällen, die denen des Wetters nichts nehmen. Schlussendlich bleibt wohl nur, das Leben auf ehrliche Weise zu leben. Lebenslügen sind auch nur Lügen, irgendwann stolpern die kurzen Beine und man liegt - flach. Der Weg über Stock und Stein kann einen auch hinhauen, nur lässt es sich dann leichter aufstehen, da man die Kräfte beisammen hat. Bei den Lügen hat man sie verpufft durch das Wahren des Scheins nach aussen. Der vormals als Weg des geringeren Widerstands erscheinende Weg entpuppt sich dann als Krafträuber. Subtil, anfangs unbemerkt. Doch wenn man es merkt, ist es zu spät. Korrektur nur noch mit erneutem Kraftaufwand möglich.

Gibt es ein Schicksal? Ist alles vorbestimmt? Vermutlich ist das nicht mal wirklich relevant. Schlussendlich führt der Lebensweg einen durch Hochs und Tiefs, ist mal schön, mal schrecklich. Man sucht nach seinem Platz im Leben, manche finden ihn schneller, manche suchen ein Leben lang. Am Schluss landen alle am selben Punkt. Was bleibt, ist das Gefühl beim Rückblick. Und schön wäre es, dann sagen zu können: Das war das Leben, das ich leben wollte.

Freitag, 13. Juli 2012

Vergeben und vergessen

Im Zuge einer wissenschaftlichen Arbeit untersuchte ich vor einigen Jahren die Südafrikanische "Truth and Reconciliation Commission" (TRC). In meiner Arbeit ging es darum, aufzuzeigen, wie man nach einem Unrechtsregime Normalität und Frieden herstellen, wie man eine Transition to Justice, eine Überführung zur Gerechtigkeit herbeiführen kann. Die Schwierigkeit in Südafrika nach der Apartheid war, dass die vormaligen Täter und Opfer nach dem Umbruch zusammen leben mussten, in einem Staat. 

Die Kommission funktionierte so, dass die Opfer und die Täter eine Plattform erhielten, ihre Erlebnisse der Vergangenheit zu erzählen. Man erhoffte sich dadurch, dass das Erzählen die Wunden heilen hilft bei den Opfern (frei nach Freuds These, dass man Traumata und schwierige Erlebnisse nochmals wiedererleben muss, um sie dann verarbeiten zu können) und dass die Erzählungen der Täter dazu beitragen, die Geschichte klar sichtbar zu machen, die Hintergründe offenzulegen, die Taten belegbar zu machen. Ziel dieser ganzen Aktion war es, Vergebung zu erreichen. Vergebung als Basis des Friedens. Mit sich selber und mit dem anderen.

Wie ist es in unserem privaten Leben? Wie reagieren wir, wenn uns Unrecht widerfährt? Vergeben und vergessen, alles wieder gut? Oder hadern wir und tragen nach? Kommt es auf die Art und Schwere des Unrechts an, wie wir reagieren? Oder ist allein unser Naturell ausschlaggebend? Kann man alles vergeben? Muss man? Wieso? Für wen? Für sich selber? Für den anderen?

Ich bin nicht nachtragend. Gebe jedem eine zweite Chance, oft auch eine dritte. Ich lasse mich gerne davon überzeugen, dass unschöne Dinge auf Missverständnissen beruhen, nicht böse gemeint waren. Zudem bin ich der Meinung, dass niemand immer fair ist und man kaum durchs Leben gehen kann, ohne andere zu verletzen, selbst wenn man das nicht will. Und doch: Kann man alles vergeben? Kann man bei allem sagen: Schwamm drüber, schauen wir nach vorne? Und wenn nicht, was sind die Kriterien, dass es nicht geht? Und was macht das mit einem?

Das Vergeben ist wohl umso schwerer, je tiefer die Verletzung traf. Verletzungen treffen dann, wenn es um Themen geht, die für den Betroffenen heikel, sensibel, belastet sind. Ist die Verletzung in dem Bereich passiert, fällt es schwer, einfach darüber hinwegzugehen. Der Stachel sitzt tief. Wenn man genau hinschaut, hilft einem aber das Unversöhnliche nicht wirklich, Frieden zu finden. Selbst wenn Kampfstillstand herrscht, in einem selber nagt der Konflikt weiter. Man beobachtet mit Argusaugen, was der andere macht. Und hofft inständig, dass er einfach nur weniger gut ist als man selber. Der Stachel der Missgunst, des Zwists steckt tief.

Das Problem ist, dass negative Gefühle gegen andere einem selber wenig bringen. Weder erfährt man dadurch eine Befriedigung noch erwirkt man eine Veränderung der Situation. Der andere spürt diese Gefühle oft nicht mal. In einem selber aber nagen sie permanent, wenn man keinen ausgeprägten Verdrängmechanismus sein Eigen nennt. Vergeben und vergessen wäre also die Lösung. Nur: Kann ich einfach alles vergessen und vergeben? Wäre das nicht ein Persilschein für die, welche Unrecht tun? Niemand trägt es nach, es wäre gleich wieder ungeschehen. Diese Handhabe würde dazu führen, dass man weniger achtsam wäre im Umgang mit anderen. Man hat keine Konsequenzen zu fürchten. Das kann nicht die Lösung sein. Doch wo findet man diese? Was kann man verzeihen, was sollte man verzeihen und wo kann oder muss man auch mal sagen: Bis hier hin und nicht weiter?

Die Art der Verletzung ist sicher ein Kriterium bei der Entscheidung, ob man diese vergeben kann oder nicht. Je grösser das eigene Leiden ob des Verhaltens des anderen desto schwerer, dieses zu vergeben, gar zu vergessen. Je grösser die emotionale Betroffenheit ist, desto tiefer setzt sie sich im Bewusstsein und damit in der Erinnerung fest.
Zweites Kriterium ist sicher, wer der Verletzende ist. Wie nah steht er einem? Grosse Nähe kann aber in meinen Augen auf zwei Seiten ausschlagen. Einerseits würde man gerade von einem sehr nahen Menschen keine Verletzungen erwarten, ist dementsprechend viel tiefer getroffen als wenn es ein Fremder wäre. Zum anderen liegt er einem so am Herzen, dass eine unversöhnliche Haltung einem auch den Umgang mit dem eigentlich teuren Menschen erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht.
Drittes Kriterium könnte sein, wie gross die Gefahr ist, dass das wieder passiert. Sieht der Verletzende seine Fehler ein, will sich ändern, will das gleiche in Zukunft vermeiden, fällt es leichter zu vergeben, als wenn er sich auf den Standpunkt stellt, unschuldig zu sein, nichts getan zu haben, die Verletztheit des Getroffenen vielleicht sogar noch in Frage stellt und als Fehler des Verletzten auslegt.
Viertes Kriterium ist sicher das Motiv der Verletzung. Steckte Absicht, böser Wille dahinter oder waren es andere Beweggründe oder schlicht Unwissenheit, ein Versehen, Unbedachtheit? Boshaftigkeit zu verzeihen fällt sicher schwerer als Unbedachtheit. Beim ersten sieht man sich direkt als gewünschtes Opfer einer Verletzung, beim zweiten fällt es leichter, ein Auge zuzudrücken.

Vermutlich gibt es noch viele weitere Kriterien, allen voran die Art des Kontaktes mit dem anderen. Wenn ich diesen jeden Tag sehe, ihm nicht aus dem Weg gehen kann, ist es zwingender, mit ihm einen Umgang zu finden, der nicht täglich mit schlechten Gefühlen belastet ist. Wenn das nicht der Fall ist, funktioniert die Haltung "aus den Augen aus dem Sinn" besser, sofern man es auch selber zulässt und nicht ständig daran rumstudiert.

So oder so lässt sich wohl sagen, dass eine nachtragende Haltung zuerst einem selber schadet. Man selber vergiftet das eigene Denken und Leben mit den negativen Gefühlen und Gedanken, dreht sich in einer negativen Spirale und leidet darunter. Wenn der andere überhaupt etwas davon mitkriegt, ist es für ihn trotzdem nicht so belastend, da es nicht in ihm dreht, sondern in einem selber. Man kann also sagen, dass es so oder so - für einen selber - wichtig ist, eine versöhnliche Haltung mit dem Geschehenen einzunehmen. Für den weiteren Umgang mit dem anderen bleibt zu überlegen, wie wichtig einem dieser ist. Wenn der Mensch sehr wichtig ist und man ihn nicht verlieren will, bleibt wohl nur, zu "vergeben und vergessen" zu tendieren, denn ein Umgang, bei welchem ständig die alten Verletzungen auf den Tisch kommen, wird sich über kurz oder lang selber vergiften. Ob man das kann, hängt mit verchiedenen, teils oben genannten, Kriterien zusammen. Und dann gibt es vielleicht noch die Fälle, bei welchen man zum Schluss kommt, dass es keinen gemeinsamen Weg mehr gibt, weil die Verletzung zu tief geht.

Wichtig ist sicher immer, sich selber zu fragen, was genau einen wirklich verletzt hat, ob es der andere war oder aber eigene Prägungen und Gedanken, welche durch dessen Verhalten losgetreten wurden. Ab und an stösst ein Aussenstehender in eine Wunde, die schon vor dem Stoss da war, nun aber schmerzt. Dann tendieren wir dazu, den Zustossenden verantwortlich zu machen für den Schmerz, statt zu sehen, dass dieser Schmerz schon vorher in uns angelegt war. Wenn wir uns aber entschliessen, dass es einer Verletzung wegen keine Zukunft mehr gibt, sei es, weil das Vertrauen zerbrach, sei es, dass die Wunde zu tief sitzt, sei es, weil schlicht die Basis verloren ging, dann hilft es erst recht, loszulassen. Die Verletzung und den Menschen. Den Menschen aus dem Leben zu streichen, ihm aber mit den Gedanken immer noch nachhängend und nachtragend hilft weniger als nichts. Damit fügen wir uns selber ständig neue Wunden zu durch unser Denken.

Betrachtet man das Beispiel der TRC, hilft im ganzen Prozess sicher, einander die Möglichkeit zu geben, sich zu erklären. Nur so wissen beide, was wirklich passiert ist, was in beiden vorging während der Verletzung und was beide daraus ziehen - für sich selber, für das Miteinander. Hüllt man sich in Schweigen, zieht sich zurück, versucht die Vergangenheit für sich selber zu klären, die Beweggründe des anderen selber vorwegnehmend, wird man nie zur wirklichen Wahrheit von beiden stossen, sondern sich in seiner eigenen kleinen Welt im Kreis drehen. Oft mit falschen Hypothesen, die schlussendlich in die Irre führen. Die Wahrheit über die Vergangenheit kann helfen, diese Vergangenheit einzuordnen, zu bewerten und für sich selber zu verarbeiten. Und damit bringt diese Wahrheit Frieden. Inneren wie auch äusseren - egal, ob die Beziehung (wie auch immer gelagert) fortdauert oder nicht.

Schlussendlich bleibt zu sagen, dass Vergeben sowohl für einen selber als auch für das Miteinander eine wichtige Voraussetzung ist. Nur wenn wir es schaffen, uns selber und anderen zu vergeben, kehrt in uns selber und im Austausch mit dem anderen Frieden ein. Wenn man diesen Schritt gegangen ist, bleibt zu überlegen, wie die Basis zum anderen nun aussieht, was man sich zumuten kann und will, womit man leben will. Bleibt eine ständige Angst vor neuer Verletzung, ist es wohl ehrlicher, in Frieden auseinanderzugehen. Fühlt man die Zuversicht, dass es nicht wieder vorkommt, tut man sich selber und dem anderen einen Gefallen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und in die Zukunft zu schauen. Nichts hält Fehler der Vergangenheit so präsent wie die eigene Erinnerung und die Gedanken dazu.

Donnerstag, 12. Juli 2012

Allem gerecht werden

Ich hatte zeitlebens einen Traum: ich wollte Hausfrau und Mutter werden. Kein wirklich zeitgemässer Traum in einer Zeit, in der Frau die neuen Rechte leben MUSS, in der es nicht statthaft ist, nicht zu arbeiten. Die erste Frage bei neuen Bekannten ist immer: "Was arbeitest du?" Ein "ich bin zu Hause" wird mit Augenbrauenheben quittiert. Was eine zeitgemässe Frau ist, die etwas auf sich hält, die arbeitet. Gefälligst. Wofür haben wir sonst gekämpft? Die, welche so denken, sind wohl die, welche nie gekämpft haben, aber die Identifikation ist natürlich etwas Schönes. (ich habe eine andere Definition von Emanzopation, doch die tut hier nichts zur Sache)

Nun gut, ich stürzte mich nicht gleich ins Abenteuer Familie, sondern studierte erstmal. Das war Ziel seit Schulbeginn. Das stand ausser Diskussion. Nie in Konflikt mit dem Hausfrauentraum. Das Hirn wollte beschäftigt sein, musste es sein, war es sowieso ständig. Das Studium war toll, wenn auch nicht ganz einfach, eher unruhig durch all die Arbeitsunterbrüche. Beziehungen kamen, gingen, das Studium blieb. Der Hausfrauentraum kam näher, ich heiratete, das Kind kam. Familie konnte starten. Leider nicht ganz so traumhaft wie gewünscht, die Familienidylle platzte ziemlich schnell, Opfer von verschiedenen Dingen, die heute nicht mehr zählen, es ist, wie es ist. Eine Welt brach zusammen. Der Traum war weg, da stand ich nun.

Die Zeiten waren schwer, das Studium nicht fertig, die Familie im Eimer, das Kind klein. Dazu noch eine Schlacht, die gekämpft werden wollte. Ich hätte den Kopf in den Sand stecken können und sagen: ich mag nicht mehr, alles zuviel. Ich gebe auf. Jeder hätte es verstanden. Aber ich hatte eine Verantwortung. Dem Kind gegenüber. Mir selber gegenüber. Dem Leben gegenüber. Zudem hatte ich das Pech, dass ich schlicht nicht einfach zusammenbreche, sondern weiterlaufe... egal, wie kraftlos ich bin.

Während andere Tag und Nacht Masterarbeit schrieben und über Monate nichts anderes taten, als sich auf die Prüfungen vorzubereiten, hatte ich Tag und Nacht einen Säugling um mich, später ein Kleinkind. Und war alleine damit. So beendete ich das Studium, nicht mal schlecht.Was nun? Die einzige Konstante in meinem Leben war weg. Das, was mir so viel Halt und Kraft gab. Und ein kleines Kind war da. Und niemand, der uns ernährte. Niemand, der uns unterstützte. Vor allem mental. Und mein Anspruch, mein Kind selber aufzuziehen noch da. Ich bewarb mich für ein Stipendium für eine Dissertation. Ich hatte Glück, die Noten halfen wohl mit. Ich bekam es. Ich fing zu schreiben an, bewarb mich für ein zweites Stipendium. Erhielt auch das und schrieb weiter. Das Leben wurde nicht einfacher. Als alleinerziehende Mutter wurde ich offensichtlich und explizit diskrimiert. Ich erhielt Stellen nicht mit der Begründung, dass ich sie als alleinerziehende Mutter nicht bewältigen könnte. Man wollte mir mein selber erarbeitetes Stipendiumsgeld wegnehmen mit der Begründung, ich würde eh nur mein Kind durchfüttern damit und keine Dissertation schreiben. Und am Schluss stand noch mein Titel auf der Kippe, weil mein Fazit, dass man Völkermordsleugner mit einem speziellen Strafrechtsparagraphen konfrontieren müsse, nicht genehm war - trotz sauberer (und vorherig angenommener) Argumentation.

All das habe ich überstanden. Oft am Limit. Oft kämpfend. Oft nicht mehr könnend. Mich immer wieder aufrappelnd. Ich musste ja. Ich hatte eine Verantwortung. Ein Kind. Das ich tagsüber betreute, nachts meine Dissertation schrieb. Schlafen? Überbewertet. Die Decke kam oft bedenklich nah. Von aussen hörte ich: wann arbeitest du endlich mal? Man kann doch nicht nur zu Hause sein, Hausfrau sein? Sagte ich, ich schreibe eine Dissertation... war ich zu klug. Und fiel so durch die Maschen. Vor allem Männer fanden das abschreckend. "Du bist klüger als ich" war das häufigste Argument, gleich gefolgt von "was verdienst du damit und kannst du davon leben?".

Wieso ich den Weg wählte (abgesehen davon, dass bei der Immatrikulation klar war, ich will promovieren)? Ich konnte zu Hause bei meinem Kind sein, ihm den Halt geben, den es brauchte. Es hatte schon keine intakte Familie, ich wollte wenigstens da sein. Und das tat ich. Aus Liebe und aus Verantwortung. Das Kind wird grösser, die Dissertation ist durch. Wie weiter. Schreiben. Das muss es sein. Das ist so klar wie Klossbrühe. Doch das geht doch nicht. Das tut man nicht. Man muss arbeiten. Was Richtiges. Und ich bewerbe mich immer mal wieder. Will ja nicht immer ins Stocken kommen bei der ersten mir gestellten Frage: "Was arbeitest du?" Will ja ein wertvolles Gesellschaftsmitglied sein. Leider stellt kaum einer ohne Doktortitel einen mit Titel ein. Doch die beste Absage kriegte ich heute: "Sie sind zu eigenständig. Wir denken, sie wollen sich einer Teamarbeit nicht aussetzen." Toll. Wäre ich doch nach der Trennung eingebrochen. Hätte ich doch bewiesen, dass ich nicht auf eigenen Füssen stehen kann. Muss. Dann wäre ich wohl angepasst genug.

War es ein Fehler, für mein Kind dasein zu wollen? War es ein Fehler, von zu Hause zu arbeiten bei der Dissertation, danach freischaffend, um das Kind nicht zum Schlüssel- und Hortkind zu machen? War es weltfremd, zu denken, man könne die Mutterzeit geniessen und leben, daneben durchaus arbeitend, wenn auch nicht gesehen von der sogenannten Gesellschaft?

Ich bin also zu eigenständig für eine Stelle. Das erinnert mich an eine Kritik an einer Studienarbeit: "Sie haben den Fehler gemacht, selber gedacht zu haben." Den Fehler werde ich wohl immer und immer wiederholen. Und damit anecken. Da ich sensibel bin, wird jede Ecke eine Narbe hinterlassen. Ich kenne mich aber mittlerweile gut genug, zu wissen, dass ich nicht aufhören will zu denken. Es auch nicht kann. Und so mache ich nun endgültig eigenständig weiter. Dankbar darum, dass es Menschen gibt, die wissen, dass ich sehr teamfähig bin, dankbar drum, dass es Menschen gibt, die hinter mir stehen, neben mir und vor mir. Dankbar drum, dass ich mein Denken habe, mein Schreiben. Und dankbar drum, dass es Menschen gibt, die an mich und daran glauben. Mehr ab und an, als ich selber. Aber ich arbeite daran.

Ich wollte nie persönlich werden in meinem Blog. Das hier war die Ausnahme der Regel. Mit grossem Dank an den einen immer an mich Glaubenden. Und mit Dankbarkeit an mein Denken, mein Sein. Denn das ist es, was mich ausmacht. Das mir auch das Leben schwerer macht. Aber ohne das - wär ich nicht ich. Und irgendwann lerne ich vielleicht, dass es nichts bringt, anderen und deren Erwartungen gerecht werden zu wollen. Man kann nur sich selber gerecht werden. Nicht egoistisch, nicht gegen die anderen, nicht sie ausnützend oder verletzend, aber für sich, das eigene Leben und die eigenen Wege.

Dienstag, 10. Juli 2012

Ring um Ring in die Zukunft

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und kreise jahrtausendelang;
und weiss noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein grosser Gesang.

Rainer Maria Rilke, 20.9.1899, Berlin-Schmargendorf

Mit dem ersten Schritt in dieser Welt nehmen wir Eindrücke wahr, hören Stimmen, fühlen Dinge. All das prägt unseren zweiten Schritt, die folgenden mit. Jeder weitere Schritt trägt in sich die vergangenen Schritte, trägt sie mit zum  nächsten Schritt. Jeder weitere Schritt ist damit Folge der letzten Schritte und zugleich basiert der nächste auf ihm. Und so nimmt das Leben seinen Lauf, hinein in eine immer weiter führende Spirale.

Im Rückblick gäbe es vielleicht das eine oder andere, das man lieber ausgelassen hätte. Man sieht Ringe, die man nicht hätte erleben wollen. Und doch haben sie dazu geführt, was heute ist. Ohne diese Ringe wäre der heutige nicht da. Wir können nie sagen, ob das gut oder schlecht ist. Es ist, wie es ist.

Im Wissen um die Wichtigkeit des einzelnen Schrittes stellt sich oft die Frage: Was ist richtig, was falsch? Welchen Schritt soll ich gehen, wofür mich entscheiden? Wo führt mein Weg hin, wenn ich mich für das eine oder andere entscheide? Wer will ich sein, wo will ich überhaupt hin? Und oft scheitert es an der letzten Frage. Das Wollen konkurriert mit dem Sollen und dem Müssen. Oft nicht mal bewusst. Und man sieht sich in der Mitte stehend, Wollen, Sollen, Müssen mit Argumenten um sich schlagend, alle klingen sie gut, die des Wollens am leisesten, die des Sollens etwas lauter, die des Müssens erschlagend laut. Das Wollen zieht sich kleinlaut zurück, das Sollen brüstet sich, das Müssen setzt sich durch.

Wer bestimmt das Müssen? Wer ist Regisseur in unseem Leben? Wer bestimmt das Sollen? Wer hat die Befehlsgewalt in unserem Leben? Wer das Wollen? Die letzte Frage ist einfach: Man selber. Dann wird es schwierig. Noch schwieriger wird es, wenn man erkennt, dass Sollen und Müssen zwar wie eigene Stimmen klingen, schlussendlich aber von aussen kommende Meinungen sind, die über Tag und Jahr so in einen hineinflossen, dass sie nun als quasi eigene wieder hinausströmen.

So sitzt man dann da, denkt sich, was man gerne hätte, denkt sich, was die anderen von einem erwarten, was die Gesellschaft erwartet, scheltet sich nen Toren und versucht, den Weg zu gehen, der angezeigt wäre - aus der Sicht von aussen, wie man sie im Innern sieht. Man denkt, so das Richtige zu tun. Wieso nur fühlt es sich so wehmütig an? Wie ein kleiner Tod? Das kann nur die eigene Narrheit sein. Diese hirngestrickten Phantasien von eigenem Wollen, die jeglicher gesellschaftlichen Realität zuwidersprechen. Und doch: tief drin sind sie da. Und motzen beim blinden Folgen von Sollen und Müssen. Wie mein Sohn es tut, wenn ich ihm was verbiete. Sie ziehen den Kopf ein, lassen die Schultern vornüber hängen, schlarpen leise davon, dafür umso lauter schimpfend. Wie kann sie nur? Wieso tut sie das? Was soll das überhaupt? Was ist schon Sollen? Was Müssen? Wieso werden wir nie erhört?

Das Leben ist mit sehr vielen Pflichten gefüllt. Diese stammen meist von ausen. Frei nach Rousseau finden wir uns in Ketten wieder, nachdem wir frei geboren wurden. Meistens jedoch sind die Ketten selbst auferlegt. Alle Ketten, die wirklich verpflichtend sind, entstammen dem gesunden Menschenverstand über ein angenehmes Zusammenleben. Sie handeln davon, sich so zu verhalten, dass niemand Schaden nimmt, man selber auch nicht. Die hält man im Normalfall automatisch ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand dahin geht und denkt: Ich schade nun allen, mache allen das Leben schwer (klar, die gibt es, aber das ist nicht die Norm, nicht das gesunde Denken, eher eine falsche Prägung, die Trotz, Ekel, Hass und Wut hervorbrachte). Der ganze Rest ist selbstauferlegt. Aus Gründen. Klar. Die klingen einleuchtend. Relevant ist die eigene Haltung dazu. Will ich das? Wirklich? Kann ich damit umgehen, damit nicht im grossen Teich zu schwimmen, sondern eher alleine? Und aufgrund dieser Erwägngen gilt es dann, einen Weg zu wählen. Und ihn zu gehen. Im Bewusstsein, dass es der eigene Weg ist. Frei gewählt. Man kann Richtungsänderungen vornehmen. Aber man sollte sich immer bewusst sein: Man hat(te) es in der Hand. Zum grossen Teil.

Und so lebe ich mein Leben. In Ringen. Immer weiter. Und hoffe, ich kann in den meisten Zeiten sagen: Es ist gut so, das ist der Ring, den ich wollte. Den Ring mag ich.

Zuhause oder Glaube an dich

Vor einiger Zeit beschloss ich, umzuziehen. Die Entscheidung hatte Gründe, viele, gute, üerzeugende. Ich suchte also eine Wohnung da, wo ich hinwollte, fand sie auch, obwohl der Wohnungsmarkt nicht einfach ist. War glücklich. Hier könnte man den Vorhang senken, Happy End schreiben.

Irgendwie fängt die Geschichte erst hier an. Ich stellte mir nämlich nun vor, was für Bemerkungen ich für meinen erneuten Umzug ernten würde. Das verursachte mir Magenschmerzen. Dass ich im Leben oft umgezogen bin, steht ausser Frage. Trotzdem mochte ich die ewigen Witzchen und Bemerkungen nicht mehr ertragen. Klar könnte man sie einfach wegstecken. Doch so bin ich nicht. Ich hinterfrage immer - am meisten mich. Und hintersinne mich. Ich beschloss, den Umzug für mich zu behalten. Da und dort sickerte er durch. Am Schluss hielten sich die Bemerkungen im Rahmen, meine ganzen Gedanken waren umsonst. Hätte ich sie mir erspart, wäre es beim oben genannten Happy End geblieben.

Nur: Ich hörte eine abschätzige Bemerkung über meinen neuen Wohnort. Da würde man nie wohnen wollen. Es sei ganz schlimm und hässlich da. "Little Istanbul" wurde es genannt. Als Betonwüste verschrien. Und ich sass da und fragte mich: Haben sie alle recht? Ziehe ich ins Unglück? Ist die Freude, die ich spüre, eine Illusion, die platzen wird, sobald ich dort bin? Ganz leise drang auch durch, dass es eigentlich frech ist, etwas abschätzig als Little Istanbul zu bezeichnen. Dass es abgesehen von mangelndem Taktgefühl hauptsächlich eine eher abschätzige Haltung gegen ausländische Mitbürger offenlegt. Die man trotz gross posaunter Toleranz doch lieber weit weg hat. Natürlich kam bei mir kurz der Gedanke von wegen Schule für das Kind und anderer Probleme auf. Und irgendwie war die Umzugsfreude weggeblasen. Ich hinterfragte. Mich, meine Entscheidung, alles.

Was, wenn sie alle recht haben? Wenn ich nicht umziehen sollte? Wenn der neue Ort schlimm wäre? Ich mich nicht wohl fühlte? Sohnemann sich nicht wohl fühlte. Keinen Anschluss fände, schlechte Schulen hätte? Und dann kam noch dazu: Bin ich weniger wert, wenn ich nach Little Istanbul ziehe als wenn ich im Schickimickiviertel wohne? Sind die Bewohner von Little Istanbul wenig wert? Woran gemessen? Wer setzt den Massstab? Langsam sah ich die Realität wieder klarer und die Freude kam wieder auf.

Dann zog ich um. Chaos pur. Umzugsmänner überfordert, alles dauerte länger, Wohnung schien klein, alles Chaos. Nerven blank. Aber: Der Spaziergang mit dem Hund war toll. Ich lief durch das ganze Quartier und ein wenig weiter. Und ich war begeistert. Es war schön. Es war grün. Es war städtisch. Es war - endlich wieder Zuhause. An diesem Ort wohnte ich, bevor die Schweizer Reise losging... und hierher war ich zurückgekehrt.

Die Kisten schwinden, die Spaziergänge werden mehr. An Bächen entlang, über Wiesen, Felder. Beim Einkaufen plaudere ich mit den Verkäuferinnen, Nachbarn schon kennengelernt. Es ist schön. Es ist, wie ich es kannte. Es ist toll. Wie ich es wünschte. Nur eines nervt: Dass ich mir von anderen die Freude vermiesen liess. Dass ich fremde Stimmen höher wertete als meine eigene. Wieso? Selbst wenn ihre Einschätzung für sie selber stimmte, wieso ging ich davon aus, sie könne auch für mich stimmen? Kennen sie mich wirklich? Stecken sie in meinen Schuhen? Taten sie es je? Klar nein. Und einmal mehr die Lehre:

Es gibt nur einen, der dein Leben leben kann: Du selber. Bau auf dich, vertrau auf dich, gehe deinen Weg.

Klar ist es immer sinnvoll, Argumente von anderen zu berücksichtigen, zu prüfen. Aber nur, wenn es wirklich Argumente sind. Fundierte. Für mich kann ich sagen: Ich bin Zuhause. Endlich wieder. Und es fühlt sich gut an. Für uns alle.

Hier noch ein paar Bilder von der ach so schrecklichen neuen (alten) Heimat:





Montag, 9. Juli 2012

Das Ich, die Anderen und das Glück

Heutzutage herrscht in allen in allen Bereichen des Lebens Wettbewerb. Und genau dieser ist es doch, der die Menschen ins Unglück stürzt. Man vergleicht sich nach aussen, zieht aus diesem Vergleich Unzufriedenheiten und ist fortan damit beschäftigt, den Vergleichspunkt einzuholen. Man entfernt sich dabei von sich selber und rennt (oft unerreichbaren) Zielen hinterher.

Der andere ist schöner als ich. Der andere ist erfolgreicher als ich. Der andere ist reicher als ich. 


Ist Schönheit alles? Ich denke nicht, dass sie im Leben wirklich hilft. Vielleicht öffnet sie erste Türen, aber dann muss mehr dahinter stecken - meistens. Sie kann auch Türen in Bereiche öffnen, die man gar nicht wollte. Weil nur die Schönheit anzog, nicht der Mensch. Und sie kann, wenn die Tür mal offen ist, auch Druck erzeugen, bestehen zu müssen. Der kann belasten. Man sehe die Welt der sogenannt Schönen und Reichen. Wie viele haben Probleme mit Süchten, mit Abhängigkeiten, mit Depressionen? Sind sie glücklich? Sie haben doch alles? Sind schön, haben Geld, haben Erfolg, haben Beachtung. Und doch - glücklich sind sie nicht. Es gibt ein paar, die scheinen glücklich zu sein - man sieht ja nur dran ran, nie hinein. Aber der grosse Anteil ist das nicht.

Bin ich schön? Wenn ich die ganzen Magazine ansehe sicher nicht. Früher litt ich oft, fand überall Dinge, die ich bemängelte, war ab und an sogar traurig, weil ich war, wie ich war. Das Alter hat da sicher eine Gelassenheit gebracht. Ich bin heute grundsätzlich zufrieden mit mir. Habe klar Punkte, die ich mit Handkuss ändern würde, aber mein Gott, auch wenn sie geändert wären, ginge es mir nicht besser.

Reich bin ich schon gar nicht. Aber auch da: wäre ich glücklicher anders? Wirklichen Reichtum strebe ich nicht mal an, ich wüsste wenig damit anzufangen, würde mein Leben nicht gross ändern wollen. Ein wenig mehr für ein paar Wünsche. Das wäre toll. Aber nun gut, ob ich dann glücklicher wäre? Ich bezweifle es.

Ich habe im Leben gemerkt, dass die Momente, in denen ich unglücklich bin, selten mit äusseren Faktoren zu tun haben. Meist sind es Stimmungen, die aus mir selber kommen, die ich mir selber herbeischaffe. Vielleicht ist ein Anstoss von aussen da, etwas, womit ich unzufrieden bin. Doch ist es schlussendlich ja immer meine innere Haltung dazu, welche mich glücklich oder unglücklich macht.

Ich habe für mich die These, dass wir ein gewisses Mass an Unglück brauchen. Wir suchen es wohl fast. Die These ist ein auch ein Schluss aus der Erkenntnis, dass auch die, welche (wie man sagen könnte) alles haben, unglücklich sind. Sie suchen (unbewusst) und finden. Und leiden. Und wollen das Leiden beheben, indem sie das beheben, was sie unglücklich macht. Und das sind meist die eigenen Gefühle. Und die betäubt man am besten mit Mitteln, die sie überdecken: Drogen, Alkohol, andere Süchte.

Und so bleibt am Schluss einmal mehr nur, mit sich selber ins Reine zu kommen. Anzunehmen, was ist, zu sehen, was wirklich möglich ist, weil man es selber für sich will und nicht, weil andere es haben. Und das Leben zu leben, das das eigene ist. Das eines anderen wird man nie leben können. Ein anderer sein kann man auch nie. Zudem gibt es schon genug andere, einen selber gibt es nur einmal. Und das sollte auch so bleiben.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Bilanz

Abschied ist oft traurig, da es heisst, etwas loszulassen, was bislang zum Leben gehörte, dies vielleicht massgeblich prägte, ausmachte. Abschied bringt dann Wehmut hoch. Ist der Abschied selbst gewählt, steckt klar eine positive Absicht dahinter, trotzdem bleibt das weinende Auge. Das, welches sieht, was vorbei ist, was nie mehr sein wird.

In jedem Abschied wohnt ein Anfang inne. 

Ich glaube, das hat niemand so geschrieben, mir kommt es aber immer in den Sinn und ich denke, es sei ein Zitat. Vermutlich ist es aber aus Hesses Stufen zusammengereimt - die Essenz des Gedichtes sagt genau das:

Stufen
Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and're, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt,
so droht Erschlaffen!
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Hermann Hesse)

Ich liebe dieses Gedicht, weil es das Leben in seinem Wandel zeigt. Es zeigt, dass wenn etwas aufhört, auch etwas anfängt. Und doch, eine kleine Wehmut bleibt. Und eigentlich ist die auch positiv, da sie zeigt, dass das Leben, wie es bislang war, gut war, gute Seiten hatte. Ich fände es bedenklicher, wenn nur Freude, nur Aufbruch herrschte.

Ein Abschied ist immer auch Zeit, Bilanz zu ziehen. Was war? Was war gut? Was würde ich ändern? Solche Bilanzen haben oft zur Folge, dass man Entscheidungen der Vergangenheit hinterfragt, bedauert, denkt, man hätte falsch gehandelt. So ist es auch bei mir. Mit Wehmut denke ich an gewisse Punkte in meinem Leben, denke, sie waren unnötig, ich häte mein Leben anders gestalten können, hätte ich damals anders entschieden. Ich denke, ich hätte mir manches Leid, manchen Umbruch ersparen können. Mag wohl sein aus der Sicht von heute. Damals hatte ich Gründe. Und entschied aufgrunde derer. Kierkegard sagte treffend: Das Leben lebt sich nur vorwärts und erklärt sich nur rückwärts. Wir sind heute immer klüger als gestern. Aber auch nur, weil wir heute wissen, wie das Heute ist. Gestern wussten wir es nicht. Wir stellten Hochrechnungen an. Dachten an Folgen und Ursachen. Reagierten auf Spekulationen. Und stellten unsere Planung darauf ab. Nach bestem Wissen und Gewissen.

Aus genau diesem Grund ist es auch hinfällig, die Vergangenheit zu betrauern. Wir taten damals unser Bestes und landeten damit da, wo wir heute stehen. Wo wir gelandet wären, hätten wir anders entschieden, wissen wir nicht. Reine Spekulation. Heute das Gestern zu betrauern, hiesse, sich auf Spekulationen abzustützen und dadurch Leid zu spüren. Das wäre schlimmer als jede falsche Entscheidung der Vergangenheit - wobei die Wertung falsch oder richtig immer schwer zu fällen ist.

Und so ist es, wie es ist und ich bin dankbar. Ich bin zufrieden im Heute. Habe etwas Wehmut für das, was ich zurücklasse, einfach, weil es vertraut war. Freue mich aber sehr auf das Neue.

"Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!"

Mittwoch, 4. Juli 2012

Schmetterling und Maulwurf

Es waren einmal ein Maulwurf und ein Schmetterling. Sie trafen sich, fanden sich nett, beschlossen, den Weg zusammen zu gehen. Der Schmetterling liebte den Maulwurf, weil er genau so war, wie er sein wollte. Er bewunderte ihn, weil er die schönsten Löcher buddelte und darin leben konnte. Wie gerne hätte der Schmetterling das auch gekonnt und sein eigenes Unvermögen nagte oft an ihm.

Der Maulwurf liebte den Schmetterling, weil dieser so schön fliegen konnte. Wie oft hatte sich der Maulwurf gewünscht, auch fliegen zu können. Er sah sich im Geiste durch die Lüfte gleiten, stellte sich vor, wie die Wiesen und Wälder von oben aussehen würden. Und insgeheim dachte er ab und an, er wäre eigentlich auch ein Schmetterling, nur im falschen Körper.

Weil die beiden so gerne der jeweils andere gewesen wären, verstanden sie sich gut. Jeder konnte sich in den andern hineinfühlen. Doch es nagte an beiden, dass sie nicht waren, wovon sie mal träumten. Irgendwann hielten sie das innerliche Nagen nicht mehr aus und trennten sich. Zwar waren beide traurig, aber sie konnten nicht mehr damit umgehen zu sehen, wie der andere sich zermartert. Der Schmetterling war es müde, des Maulwurfs vergeblichen Flugversuche anzusehen, die immer im Fiasko endeten. Der Maulwurf ertrug es nicht, zu sehen, wie sich der Schmetterling immer wieder die Flügel stutzte beim Versuch, in Höhlen zu krabbeln.

So lebte jeder sein Leben, jeder lernte mehr über sich selber. Ab und an blickten sie zurück auf die gemeinsame Zeit, mit Wehmut, mit Liebe, mit Wut, mit Trauer. Und lebten wieder weiter, versuchten, ihr Leben aufzubauen. Bis sie sich wieder trafen. Und merkten, dass es doch einen Weg geben könnte. Der Maulwurf sagte zum Schmetterling: "Ich werde für dich Löcher graben, in die Tiefe steigen und dir erzählen, was ich da unten sehe." Und der Schmetterling sagte: "Ich werde für dich in die Lüfte steigen und dir erzählen, wie die Welt von oben aussieht."

Auf diese Weise hatten sie die ganze Welt für sich, jeder trug seinen Teil dazu bei. Und sie merkten - jeder für sich - dass ihr Teil wichtig für das Ganze war, denn nur zusammen war es umfassend.
"Danke, dass du für mich gräbst, Maulwurf!" - "Danke, dass du für mich fliegst, Schmetterling!"

Das muss Liebe sein.

Dienstag, 3. Juli 2012

Sinn und Wert

Ein weiser Mann erzählte mir mal folgendes:
Es gibt ganz viele Menschen, die sind Maulwürfe. Sie leben ihr Leben in ihren Höhlen, tun, was Maulwürfe tun und sind zufrieden in ihrem Sein. Dann gibt es einige Menschen, die sind Schmetterlinge. Sie hören von den Maulwürfen immer: "Komm endlich in die Höhle, tue, was wir tun, so gehört sich das, so ist das Leben." Und die Schmetterlinge denken dann: "Ich bin falsch. Ich muss mich ändern. Ich muss in diese Höhle."
Insgeheim merken sie, dass sie in der Höhle nicht glücklich werden. Doch sie hören in sich drin die Stimme: "Ich muss in die Höhle, ich bin nicht normal."

Einige Schmtterlinge fliegen wohl in die Höhle. Sie gehen ein. Andere fliegen weiter, überhören die Stimmen. Noch andere fliegen, hören die Stimmen - von aussen und innen - und hintersinnen sich. Immer wieder. Denken, sie sind nicht richtig. Denken, sie passen nicht in diese Welt. Denken, sie müssten anders sein. Wünschen sich ab und an, in Höhlen zu leben. Merken dann, dass sie es nicht können. Fliegen weiter. Freuen sich am Flug. Kurz. Um dann wieder zu denken: "Ich müsste in diese Höhle. Verdammt, was mache ich da?"


Es gibt Tage, da fühle ich mich wertlos. Da denke ich, die ganze Welt liefe genau gleich, gäbe es mich nicht.
Es gibt Tage, da hadere ich mit dem Schicksal, wünschte mir, ich wäre anders. Dann denke ich, nichts auf die Reihe zu kriegen, nicht normal zu sein, nicht so zu sein, wie man sein müsste.
Es gibt Tage, da sitze ich hier und frage mich, was das alles soll, was ich tue, wieso ich tue, was ich tue, für wen ich tue, was ich tue.
Es gibt Tage, da ist die Welt aus den Fugen und ich mit ihr.
Es gibt Tage, da ist alles aus dem Lot, ich weiss nicht mal mehr, was ein Lot wäre und wenn ich es sähe, würde ich es nicht für mich passend empfinden, gleichzeitig verfluchend, dass es nicht passt und mich verfluchend, weil es nicht passt und weil ich das nicht Passen verfluche.
Frei nach dem Schaf: Alles ist doof. Aber ganz alles. Sogar das Du, das da ist oder nicht, es ist in beiden Zuständen doof. Und noch mehr ist das Ich doof. Das ist immer da und genau so, wie es ist, doof ist. Und im Dasein noch doofer. Bin ich ein Schaf?

Muss der Schmetterling in die Höhle? Darf er fliegen? Was ist richtig, was ist falsch? Wer ist mehr wert? Schmetterling oder Maulwurf? Wer hat mehr Daseinsberechtigung? Worin besteht der Sinn des Lebens? Was ist besser?

Wir werden in unserer Welt sehr darauf getrimmt, hinter allem einen Sinn zu suchen. Der Sinn hinter den Dingen macht die Dinge mit dem Verstand fassbar. Und nur, was mit dem Verstand fassbar ist, ist auch real. Ist da. Kann man einordnen. Dann fühlt man sich gut. Sinn alleine reicht aber nicht. Es muss auch noch einen Wert haben. Und der sollte sichtbar sein. Fühlbar. Nutzbar. So funktioniert das Leben, die Gesellschaft.

Wir lernen das von klein auf. Gute Leistungen bringen Lob, bringen Geschenke, bringen Liebe oft. Schlechte bringen Tadel, bringen Enttäuschung der andern und damit bei uns selber. Wie viele Kinder fürchten die Zeugnisse, weil sie die Reaktion ihrer Eltern fürchten. Wie viele Kinder versuchen alles, es ihren Eltern recht zu machen, weil sie Liebe wollen. Weil sie zeigen wollen, dass sie die Liebe wert sind. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Aber was er lernt, verlernt er auch nicht mehr. Und so sitzen die Muster tief. Sie prägen. Hängen nach.

Und dann sitzt man da und denkt: "Ich muss genügen. Ich muss Leistung zeigen. Ich muss es wert sein. Ich will geliebt werden. Also wo ist diese verdammte Höhle, ich muss da rein. Ich will auch so sein." Und flattert dabei mit den Flügeln. Und findet das Flattern gut. Weil es ist, was entspricht. Und denkt: "Aber es bringt nichts. Es ist nur Flattern. Es baut keine Höhlen. Es hat keinen Wert. Und die andern sind so viele. Ich flattere hier alleine."

Und da ist da einer. Der sagt: "Ich liebe dich, wie du bist. Ich will dich fliegen sehen. Flieg, kleiner Sommervogel, flieg." Und man denkt: "Das kann nicht sein, der irrt." Zu tief sind all die Muster, zu tief sind all die Prägungen. Und er wird nicht müde, zu betonen: "Flieg. Du bist ein Sommervogel, kein Maulwurf. Und Sommervögel sind gut so, wie sie sind. Sowie auch Maulwürfe gut sind, wie sie sind." Und man weiss, er hat recht. Und man weiss, so soll es sein. Und man denkt, das ist die Wahrheit. Und man hofft, man glaubt sie mal.

Wohin?


Was ist mein Sinn,
wo liegt er drin?
Was ist mein Zweck,
was tauge ich?
Was ist der Weg,
wo führt er hin?
Wie find ich ihn,
wie kann ich geh’n?
Was ist das Ziel,
wann seh’ ich es?
Wie komm ich hin,
was muss ich tun?

Sonntag, 1. Juli 2012

Freiheit und Einsamkeit




Udo Jürgens singt "du sagst, du bist frei und meinst dabei, du bist alleine". Ist der Preis für Freiheit Einsamkeit? Ist die Suche nach Freiheit ein Weg, der in die Einsamkeit führt? Führen muss?
Ich bin ein Mensch, der immer viele Freiheiten suchte im Leben, Zwänge mied, Druck auswich. Ich liebte die Freiheit, das zu tun, was ich tun wollte, suchte die Unabhängigkeit, weil sie mir genau das ermöglichte. Das Gefühl der Einsamkeit ist mit wohlvertraut. Es kommt immer mal wieder hoch. Wie eine Welle schwappt es über mich. Nimmt mich ein. Ist das der Preis, den ich zahle für meinen Lebensweg?

Rousseau schrieb, der Mensch sei frei geboren, liege aber überall in Ketten. Woher rühren diese Ketten? Sie sind, so Rousseau, dem Umstand geschuldet, dass Menschen widersprüchliche Bedürfnisse haben,  die sich gegenseitig stören. Das macht aus dem von Natur aus guten Menschen böse Menschen in der Mehrzahl, weil sie anfangen, sich sowohl gegenseitig als auch selber zu hassen. Die Ketten, welche der Staat errichtet, dienen dazu, das Zusammenleben so zu regeln, dass es friedlich sein kann. Dazu bedarf es einiger Ketten, denn die Bedürfnisse und Interessen des Einzelnen sollen zum Wohle des Kollektivs (und damit auch des Einzelnen) im Zaume gehalten werden.

Was bedeutet nun also, wenn einer Freiheit will? Er muss sich aus dem Kollektiv entfernen, weil er sich mit der absoluten Freiheit von allen Ketten, Zwängen und Regeln nicht mehr ins Gefüge einpassen lässt. Und er will sich ja nicht einpassen, er will die Ketten sprengen. Beim Sprengen muss er sich bewusst sein, dass er damit auch die Gemeinschaft sprengt. Und dann ist der Preis die Einsamkeit.

Gibt es einen Mittelweg? Ein bisschen Freiheit für weniger Einsamkeit? Oder ist man am Schluss immer alleine? Vermisst man als Individualist in den Ketten die Freiheit und in der Freiheit die Gemeinschaft? Um in der Gemeinschaft ein wenig Sehnsucht nach der Einsamkeit zu spüren, die doch auch ihre schönen und guten Seiten hat? Ist das die ewige Suche nach dem, was fehlt? Oft spüren wir das, was fehlt, deutlicher als das, was ist.

Östliche Philosophien werden nicht müde, zu propagieren, dass man diese Sicht umkehren solle. Im Jetzt leben, das sehen, was ist, das geniessen, was ist, dafür dankbar sein. Der Ansatz ist sicher gut und richtig, doch was, wenn der Mangel schreit? Wenn er drückt und presst und manchmal fast erdrückt? Kann ich das einfach abstellen und mich dem Sein zuwenden? Wäre das nicht auch eine Art Selbstverleugnung, die mich von mir weg brächte? Wäre ich dann wirklich zufrieden, wäre ich dann wirklich ich? Oder gehört es einfach zu meinem Naturell, zu sehnen?

Goethe schrieb:

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
nach jener Seite.
Ach! Der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide
Nur wer die Sehnsucht kennt
Weiß was ich leide!

Er spricht von Sehnsucht und damit verbundenem Leiden, er spricht von Einsamkeit, weil der Geliebte weg ist. Er spricht vom Brennen in ihm drin, das die Sehnsucht entfacht. Und ich könnte wetten, er spürte genau diese Sehnsucht, dieses Brennen, als er dieses Gedicht schrieb. Und hätte er die Sehnsucht nicht, hätte er das Leiden nicht, wäre uns ein Gedicht (und wohl so manches andere Gedicht und Werk) verloren. Es wäre schade drum. Und so hat wohl auch die Sehnsucht ihr Gutes, auch wenn der Preis das Leiden und damit nicht gering zu schätzen ist.

Alles im Leben hat seinen Preis, man ist immer selber in der Lage, zu entscheiden, ob man ihn zahlen will. Diese Entscheidung zeigt auch, wie wichtig einem etwas ist - je nachdem, ob man sich dafür oder dagegen entscheidet, den Preis zahlt oder verzichtet.

Samstag, 30. Juni 2012

Wer bin ich?


Wer denkt,
wenn ich  hier denke?
Wer spricht,
wenn ich hier sprech’?
Wer fühlt,
wenn ich was fühle?
Wer sieht,
wenn ich was seh’?

Wen liebst du,
wenn du mich liebst?
Wenn siehst du,
wenn du mich siehst?
Wer bin ich,
wo find’ ich mich?
Wer bin ich,
wo sahst du mich?

Kann ich es glauben,
was du siehst,
wenn ich noch suche,
noch nicht fand?
Kann ich es glauben,
dass du  liebst,
was ich noch suche,
hadre nur?


Wo ist das Licht,
das weist den Weg?
Wann endet Dunkel,
Das verhüllt?
Wo sind die Fragen,
ich will sie finden.
Wird je sein,
was ich doch will?

Wer kann ich sein,
wo will ich hin?
Wo ist der Weg,
wo meine Schuh’?
Wo ist der Mut,
ihn nun zu wagen?
Wo ist die Kraft,
ihn auch zu geh’n?

Ich kann nicht bleiben,
es ist vorbei.
Ich muss nun los,
muss es versuchen.
Zu lange schon
Trat ich im Nichts.
Zu lange schon
Regierte Angst.

Ein erster Schritt,
es ist nicht leicht.
Was grad noch war,
ist nicht mehr da,
was kommen wird,
noch Ahnung bloss.
In mir klafft nur
Ein schwarzes Loch.

Der Mut wird klein,
die Angst wird gross.
Kann ich vertraun,
kann ich es wagen?
Wer will ich sein,
wer kann ich sein?
 Kommt je der Tag,
an dem ich’s weiss?


Freitag, 29. Juni 2012

Schweizer Schlafzimmer in der Statistik

20 Minuten hat sich heute in des Schweizers Schlafzimmer begeben und statistisch dargelegt, wovon Herr und Frau Schweizer träumen und was sie wirklich tun - oder auch nicht. Folgt man dem Blatt, wird der Schweizer durchschnittlich einmal pro Woche aktiv. Beachtet man dabei, dass viele Frauen den Orgasmus nur vortäuschen dabei, fragt man sich, ob man nicht genauso gut den örtlichen Theaterverein besuchen könnte wöchentlich.

Folgt man dem Text weiter, steht, dass man eigentlich mehr möchte, fast schon von Pfadfindermanier ist die Rede (allzeit bereit). Wieso dann fast 30 Prozent auf Eiszeit setzen wird leider nicht weiter erläutert. Immerhin ist man trotzdem damit zufrieden, zeigen sich doch nur 12% der Frauen und 15% der Männer säuerlich, über die Hälfte sei sogar happy. Das Resultat scheint nicht nur mich zu befremden, auch Daniel Regli, Psychotherapeut und Dozent an der Uni Bern sieht in dieser Zufriedenheit eher Wunschdenken als Wahrheit. Das zeigt sich dann auch in der Fortsetzung, wo plötzlich die Dauer, der Aufbau sowie der Akt selber unter Beschuss stehen. Da fragt sich dann doch, wo bleibt da die Zufriedenheit, die gerade noch propagiert wurde? Denkt man dann noch an das Theaterspiel am Anfang zurück, stehen nur noch grosse Fragezeichen vor den Augen.

Locker flockig geht es weiter, Partnerhäufigkeit wie zahlenmässige Zusammensetzung des Liebesspiels sind ebenso Thema wie verschiedene Praktiken und Handarbeit. Und ganz am Schluss liest man sogar, dass nicht nur Frauen spielen, auch Männer täuschen vor.

Nach so vielen Zahlen und statistischen Werten bleibt noch die Frage: Wem bringt das nun etwas, was lernen wir daraus? Sind wir zufriedener, wenn wir uns über dem Schnitt sehen? Sind wir beruhigt, wenn wir uns in der Eiszeit nicht alleine fühlen? Das Leben als Statistik - wirklich erotisierend wirkt das auf alle Fälle nicht.

Donnerstag, 28. Juni 2012

Rassismus akzeptiert?

Ein Schweizer Politiker verbreitet fragwürdige, stark rassistische Sätze über Twitter. Ein kurzer Aufschrei, er wird aus allen Stellen ud Ämtern entlassen. Einen Tag später herrscht Stille. Deutschland spielt gegen Italien, Europameisterschaft. Noch nie las ich so oft das Wort “Neger” und hörte abfällige Bemerkungen über Menschen anderer Hautfarbe. Ist Rassismus in der Schweiz heutzutage Kavaliersdelikt? Ist mit dem Stempel “ich will ja nur Spass” alles erlaubt?

Diese Tendenz ist in meinen Augen bedenklich. Man nimmt es hin, dass Menschen ihrer Religion, ihrer Hautfarbe wegen verspottet oder gar todgewünscht werden. Man schweigt, verschliesst die Augen. Klar droht bei diesen Äusserungen keine Gefahr. Sie sind Ausgeburt unserer unüberlegten Schnellschusskommunikation über Medien wie Facebook und Twitter. Wo werden sie enden? Was säen sie? Die Gegner schweigen, die Befürworter werden sie schlucken, auf den Haufen der eigenen Diffamierungen werfen und irgendwann wird der gross sein. Sie werden sich zusammen scharen. Die Parolen vorbringen. Und dann? Und selbst wenn nicht… Was passiert hier? Wieso interessiert das niemanden?

Dasselbe in einem anderen Land hätte zu tagelangem Entsetzen geführt. Die Medien sämtlicher Länder schreiben mehr über die Kristallnachtaffäre als die Schweizer Presse, die Presse des Landes, in dem der Skandal passierte. Wieso ist das so? Wieso schweigt die Schweiz, wo sie sprechen müsste? SInd wir so liberal, dass uns nichts etwas angeht? Muss die so hochgehaltene Toleranz und Meinungsfreiheit auch hier hinhalten? Wir enthalten uns. Schweigen. Vielleicht stirbt so alles?

Bedenklich. Traurig! Ich hoffe, dass irgendwann eine Generation heranwächst, die den Mund aufmacht. Die nicht mehr toleriert, dass nur schon solche Äusserungen bei einem Fussballmatch stillschweigend hingenommen werden. Von Kristallnachtsmeinungen ganz zu schweigen.

Mittwoch, 27. Juni 2012

Himmel hoch jauchzend - zu Tode betrübt

Es gibt Tage, da könnte ich die ganze Welt umarmen. Ich bin dankbar für das Leben, das ich lebe, für die Möglichkeiten, die ich hatte und habe. Ich sehe mich als Glückspilz und es sprudelt förmlich aus mir raus. In dieser Zeit geht alles leichter von der Hand, mein Umfeld ist zufrieden, wir lachen, lieben uns, der Tag nimmt seinen Lauf mit all den schönen kleinen Dingen am Wegesrand. Schön wäre, wenn nun wie im Märchen der Abspann käme: Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute in Friede, Freude und essen Eierkuchen, strahlen mit der Sonne um die Wette und halten sich an den Händen, Ringelreihen tanzend. Doch das Leben ist kein Märchen.

Plötzlich dreht der Wind. Wo vorher Sonne schien, ziehen Wolken auf, ab und an ein wahrer Platzregen, Wirbelsturm. Alles düster, alles fies. Die Mundwinkel verziehen sich von fünf vor zwölf (was es wohl auch war) zu fünf vor halb sieben, drei Tage Regenwetter sind ein Dreck dagegen. Und irgendwie klappt nichts mehr. Was vorher noch einfach so flutschte, geht nicht mehr, die zufriedenen Umfeldmenschen werden anstrengend, motzig, am Wegesrand fällt mir nichts mehr auf, da ich mit anderem beschäftigt bin und dass das Leben kein Märchen und schon gar kein Zuckerschlecken ist, scheint offensichtlich.

Der Auslöser für solche Dinge? Keine Ahnung. Ein Wort, eine Nachricht, ein Blick, etwas, das nicht ging, eine enttäuschte Erwartung, unfaires Verhalten anderer. Der ganz normale alltägliche Wahnsinn halt, der mich aus meiner eigenen Welt reisst und mich mit den Tücken des Lebens konfrontiert. Was dagegen hilft? Auch keine Ahnung. Erst grummle ich vor mich hin. Schimpfe auf die Welt, die Menschen, mich selber. Dann igle ich mich ein, wurstle vor mich hin. Dann setzt sich langsam Ruhe. Und irgendwann geht die Sonne wieder an. Und es geht aufwärts. Das kann Stunden dauern, Tage, selten länger. Aber es nervt. Ab und an. Und dann wünschte ich mir ein sonniges Gemüt tagein, tagaus, immer lächelnd, immer nett. Wünschte mir, mir nicht alles ständig so zu Herzen zu nehmen, nicht immer mich selber und das Leben zu hinterfragen, sondern locker flockig durch die Welt zu gehen. Dann frage ich mich, wieso ich bin, wie ich bin. Und höre von rundrum, ich denke zu viel. Tue ich das? Kann man das abstellen? Wo?

Will ich das? Eigentlich nicht. Ich mag mein Denken, mag meine Logik, meinen Verstand und meine Kreativität. Sind die Schwankungen der Preis dafür? Ab und an denke ich es. Ein weiser Mann sagte mir mal, alles hätte seinen Preis. Er hatte wohl recht. Die Frage sei, so der Mann weiter, ob man bereit sei, den Preis zu zahlen. Das zeige, wie viel einem etwas wert sei. Bin ich bereit? Habe ich eine Wahl? Wohl kaum. Ich habe nur die Wahl, wie ich damit umgehen will. Und da bleiben zwei Möglichkeiten:
  • Mich annehmen, wie ich bin
  • Mit mir hadern und schimpfen und anders sein wollen
Beide sind möglich, nur wird die zweite Möglichkeit das Problem nicht lösen, sondern noch eines dazu bringen. Möglichkeit eins sollte nicht absolut stehen. Ich denke, man kann an solchen Schwankungen arbeiten. Allerdings sehe ich, dass eben genau die Grummelphasen auch sehr viel an Energie, kreativer Energie freisetzen. Und genau die möchte ich nicht missen. So bleibt wohl nur: Annehmen, durchstehen, rausnehmen, was fliesst und dran glauben, dass es wieder hoch geht.

Dankbar bin ich für ein Umfeld, das mich nicht so schwierig empfindet, wie ich das ab und an tue. Dankbar bin ich für die, welche mich mögen, lieben, da sind und mir immer das Gefühl geben, ich sei gut, wie ich bin. Vor allem dann, wenn ich ins Hadern verfalle. Und so bleibt am Schluss die Erkenntnis, dass alles immer zwei Seiten hat. Und diese Seiten immer wieder selber zwei Seiten. Und so blättern sich die Seiten auf zu einem ganzen Leben, das bunt und farbig ist und lebendig. Und eigentlich ist das gut so und genau so, wie ich es haben möchte. Ich bin ein Glückskind!

Dienstag, 26. Juni 2012

Klassensystem bei Schweizer Bürgern?

Die SVP hat eine neue Idee: Künftig sollen die Schweizer nach Urschweizern und Eingebürgerten unterschieden werden. Damit das besser geht, soll ein Vermerk in den Pass. Man hätte sich in der Schweiz die Probleme eingebürgert, da Menschen mit Migrationshintergrund mehr Sozialhilfe empfingen, mehr Delikte verüben. Überspitzt gesagt: Alles Schlechte kommt von aussen. Und dem will man nun mit Statistiken auf den Leib rücken. Hätte man die klare Sichtbarkeit über die Herkunft der Menschen, könnte man die prozentuale Beteiligung an den Fällen statistisch darstellen und in der Folge besser fassen.

Die Idee an sich weckt schon schlechte Gefühle. Es klingt nach staatlichem Abstempeln von Menschen, nach Kategorisierung in Menschen erster Klasse und Menschen zweiter Klasse. Wagt man einen Blick in die Geschichte, verstärken sich die Gefühle: Stempel in Pässen... das hatten wir schon einmal. Die Juden im Dritten Reich wurden auch damit bedacht. Jeder als Jude definierte Mensch musste im Pass einen Stempel tragen. Das reichte bald nicht mehr. Das nächste war die Armbinde. Was schwebt der SVP da vor? Binden mit Schwarzen Schafen?

Was aber soll mit den so gebrandmarkten passieren? Dass es nicht bei der Statistik bliebe, liest man fast zwischen den Zeilen, denn eine Papierstatistik alleine hilft noch nichts. Es mag zwar nett sein, Diagramme zu zeichnen, Vergehen und Herkunft miteinander in Verbindung zu setzen und daraus farbige Kuchenstücke zu kreieren. Das alleine wird auf Dauer nicht reichen. Die weitere Folge könnte ein Vorstoss sein, Bürgerrechte wieder zu entziehen. Nur: das könnte man sogar ohne Stempel im Pass. Mit einem Gesetz im Stil von "Wenn ein Eingebürgerter innerhalb einer Frist straffällig wird, verliert er seine Bürgerrechte." Das wäre heikel. Das im Kollektiv zu machen wohl noch mehr. Der Justizdirektor Martin Graf tendiert zu dieser Annahme (laut Tagesanzeiger). Das war auch mein erster Gedanke.

In Anbetracht der staatspolitischen und staatsrechtlichen Überlegungen sehe ich dies allerdings als (so hoffe ich doch) schwer umzusetzen. Ich denke eher, es ginge dann um eine noch viel höhere Schwelle bei der Einbürgerung. Hätte man erst schwarz auf weiss, was man gerne so hätte (und man kriegt fast jedes Resultat statistisch hin, wenn man nur die Fragestellung entsprechend legt und die Auslegung den eigenen Zielen folgend formuliert), wäre wohl der nächste Schritt, die nun als These vorgelegte Behauptung "Wir haben uns die Probleme eingebürgert!" (Zitat von SVP-Parlamentarierin Barbara Steinemann im Zürcher Kantonsrat am 25. Juni 2012) als Begründung dafür zu nutzen, dass Einbürgerungen viel härteren Kriterien ausgesetzt werden müssten. Das ist ja schon lange Ziel der SVP und wird in stark SVP-lastigen Gemeinden schon so ab und an sp praktiziert.

All die Spekulationen über mögliche Folgen ungeachtet, bleibt zu sagen: Eine solche Motion, wie sie die SVP im Zürcher Kantonsrat vorbrachte, ist ein grosser Schritt in eine Ecke, die bedenklich ist. Dies nicht nur wegen der Assoziationen zu einer der schwärzesten Zeiten der europäischen Geschichte, sondern schon aus ethischen Gesichtspunkten. Die Motion führt zur Brandmarkung von Menschen, teilt diese in Klassen ein. Es wäre dann nur ein echter Schweizer, wer als solcher geboren wurde, der anfere ein Schweizer zweiter Klasse quasi. Klar kann die SVP dagegen halten, das hätten sie nie so gesagt und es sei ein Schuft, wer so denke. Die Geschichte der SVP und ihr Gedankengut und ihre Parolen sprechen eine deutliche Sprache, die diesen Schluss durchaus zulässig machen - fast schon nahelegen. Dass eine Partei wie die Grünliberalen sich an diesen Karren anhängen, lässt diese noch junge Partei in einem sehr schlechten Licht erscheinen. Schade drum. Ich hoffe, es finden sich genug Parteien, die vehement dagegen sind. Es wäre bedenklich, mit solchen Zeichen und solchem Verhalten im Ausland gesehen zu werden.

Zur selben Zeit findet man bei Twitter eine Meldung eines SVP-Politikers, der Moscheen und die Kristallnacht innerhalb von 160 Zeilen in Beziehung setzt. Der klare Wortlaut ist Streitsache und liegt bei der Staatsanwaltschaft. So oder so: schaut man auf die Geschichte der letzten Jahre in dieser Partei, so stehen schon grosse Fragezeichen am Firmament. Ist das tragbar? Ist das das, was mit Meinungsfreiheit toleriert werden muss? Kann man ein Recht, das entstand, um eben Randgruppen und Minderheiten zu schützen vor der Unterdrückung der grossen und starken Stimmgruppen, darauf verwenden, genau gegen diese kleinen Gruppen zu schiessen und zwar auf eine Weise, die deren Persönlichkeitsrechte verletzen? Mein Fazit bleibt: bedenklich und beängstigend.

Freitag, 22. Juni 2012

Woran misst sich Wert?

Der Blog von Gesine von Prittwitz hat mich auch heute wieder zum Nachdenken gebracht. Vielleicht bin ich eher am Thema vorbei gerauscht und auf eigene Gedanken gekommen, trotzdem möchte ich Ihren Blog als Stein des Anstosses (absolut positiv) nennen.

Der erste Gedanke zur Aussage "ich hasse kostenlos" war, dass ich das immer gegenteilig erlebe. Wie oft werde ich gefragt, ob ich nicht schnell für jemanden etwas schreiben könnte, etwas durchlesen könnte, etwas korrigieren könnte. Dabei wird natürlich angenommen, ich mache das mal schnell nebenbei, für lau, es läge mir ja quasi. In diesem Zusammenhang hasst niemand kostenlos, im Gegenteil, es wird sogar so erwartet...

Dann las ich weiter und sah, dass es im Blog darum ging, dass das, was einfach kostenlos dargeboten wird, nichts wert sein soll, weil eben nicht gewollt, nicht gezielt und exklusiv. Die Aussage “Ich hasse kostenlos” und die damit verknüpfte Assoziation von Geld und Wert kann ich so nicht stehen lassen. Ist alles nur wertvoll, das Geld kostet oder einbringt? Ist es nicht gerade diese Mentalität, welche vielen Menschen zu schaffen macht bei ihrem Selbstwert sowie bei ihrem Status in der Gesellschaft? Ist ein Verwaltungsrat oder CEO eines Grosskonzerns mit Jahresgehalt von Millionen dementsprechend mehr wert als die Putzfrau des Spitals? Die Krankenschwester leistet weniger für die Gesellschaft, die Menschen an sich als der Bankdirektor?

Und um den Bogen zu schlagen: Ist Kunst, die kostet wertvoller (nicht nur als Geldanlage) als Kunst, die nicht kostet, die im Hinterhof entsteht? Hat nur der Künstler, der profitabel künstlert Kunststatus, der andere ist Hobbyist? Was ist Kunst? Vermarktbare und verwertbare Produktion?

Ich denke, die heutige Gesellschaft driftet sehr in diese Richtung. Sag mir was du verdienst und ich sage dir, was du wert bist – ob du überhaupt wert bist, dass ich mit dir spreche. Fehlt das Geld, fehlt oft das Umfeld bald damit. Billig wird mit Ramsch gleichgesetzt, einfach auch, weil das natürlich von grossen Ladenketten so vorgemacht und in den Köpfen festgesetzt wird. Alles, was nichts taugt (vor allem für den Profit des Unternehmens, weil es zu viel teuren Lagerplatz füllt ohne in warmer Semmel-Manier wegzugehen) wird verramscht. Bücher dabei oft mit Stempel drauf: Mängelexemplar. Abgestempelt. Als Müll gebrandmarkt. Was mal mit Eifer geschrieben wurde, dümpelt auf dem Ramschtisch.

Wie kam man dazu, nun plötzlich die Renner so anzubieten, wie man früher den Ramsch verhökerte? Das hat wohl viele Gründe: Massenproduktion ist günstiger als Einzelanfertigung. Je grösser die Auflage, desto geringer die Kosten pro Exemplar. Des Weiteren gaukelt eine grosse Masse eines Buches mit knalligem Plakat drüber vor, das Buch sei ein Renner, drum hätte man so viele davon, dass es auch ja reiche. Und keiner will der sein, der gerade das Buch nicht gelesen hätte, wenn es denn dann in aller Munde wäre. Spiegelbestseller. Buch des Jahres. Neuerscheinung des Millionenverkäufers. Das muss man gelesen haben. Noch hat es Stapel. Also auf sie mit Gebrüll. Mit Wert hat das wohl wenig zu tun. Aber auch nicht mit Unwert. Es ist eine Zeiterscheinung. Und nicht die positivste in meinen Augen.

Was ist Wert? Was verdient das Prädikat wertvoll? Wem geben wir wieviel Wert und nach welchen Kriterien? Keine einfache Frage. Vor allem nicht allgemein beantwortet. Grundsätzlich würde ich mal auf die Schnelle sagen: Wert für hat ein Mensch oder eine Sache dann, wenn sie mir gut tut. Das ist nicht im Sinne von “Ich kann davon profitieren” gemeint, sondern eher im Sinne von “ein gutes Gefühl vermitteln”. Genauso möchte ich mir selber Wert sein, mich mit solchen Dingen zu umgeben. Und vor allem auch, mich anderen gegenüber so zu verhalten, dass sie eben auch ein gutes Gefühl haben. SO würde wohl vieles in dieser Welt an Wert gewinnen. Und dann könnte sogar ein Buch, das irgendwo gratis abgegeben wird, sehr wertvoll sein, während auch die Platinvergoldete Ausgabe eines für mich unlesbaren Buches noch keinen Wert (für mich) hätte.

Donnerstag, 21. Juni 2012

Neue Intelligenzia

Heute stellte ich bei Facebook (im letzten Post verflucht, nun zitiert) ein Bild rein, das ich bei einer Freundin fand:


 Ich sah es, fand es schön, fand es auf seine Weise wahr und es passte gerade in die Situation, die ich hatte. Ich betitelte es mit "to whom it may concern". Für eine ganz liebe und langjährige Freundin, die mein Leben über Jahre begleitete, meine zwei dunkelsten Momente begleitete. Die ich ab und an begleitete. Der Spruch passte heute irgendwie rein. Sie wusste, sie war gemeint. Und es war gut.

Der Spruch entspringt einer Denkart, die heute populär ist. Es sind kurze Merksätze, die gut klingen, die schön klingen, die auf den ersten Blick wahr kingen. Und wenn man in einer entsprechenden Situation steckt, klingen sie sogar kraftbringend. Ein Freund von mir hat den Spruch dann zum Anlass genommen, ihn zu zerpflücken. Er fand ihn ärgerlich, platt, sinnlos und meinte, der Text rufe nur zum Egozentrismus auf. Er unterstellte, dass Menschen, die solche Sprüche mögen, kleines Selbstbewusstsein haben müssten und dieses damit ausgleichen, andere für sich zu benutzen. Das alles etwas gehobener dargestellt und ausgedrückt. 

Ich las den Blog, dachte zuerst: Ich habe was übersehen. Ich war zu schnell, habe es unbedacht reingestellt. Dann dachte ich zurück an den Kontext des Reinstellens. Und dachte für mich: Nein, es ist ok.

Es ist populär, sich gegen alles zu stellen und alles zu zerpflücken (damit meine ich nicht konkret den Blogschreiber). Die neue Intelligenzia brüstet sich gerne mit ihrer ach so klarsichtigen Scharfzüngigkeit, indem sie Dinge auseinander pflückt und das Zerpflückte in rigoros klingenden Lettern an den Pranger stellt. Was raus kommt, klingt nach Verurteilung, klingt nach messerscharfer Sezierung. Und man denkt im ersten Moment: Oh wow, der hat mehr gesehen als ich. Fiel ich auf die nett klingenden Worte rein, hat der den vollen Durchblick und mich mit meiner Oberflächlichkeit entlarvt.

Das ist wohl auch das, das der messerscharf Analysierende erreichen will. Wissenschaft agiert gerne in dieser Weise. Zerpflücken,was ein anderer tat. Argumente findet man immer, wie man die Argumentationskette stringent aufbauen muss, ist lange eingeübt und professionell indoktriniert. Wenn man dann noch ein paar Fremdworte einflicht, das ganze in gehobene Sprache packt, ist ein grosser Teil schon mundtot und fühlt sich ganz klein.

Was ist gewonnen damit? Ich denke wenig. Vielleicht fühlt man sich nach dem Schreiben eines solchen Textes ganz gut und gross. Denkt, man hätte Amerika neu entdeckt und der Welt die Augen geöffnet, die vorher noch geschlossen waren. Was aber, wenn jemand aus so einem Spruch Kraft schöpfte? Den Anstoss fand in einer schweren Zeit, mal wieder für sich zu schauen, zu sich zu stehen? Wenn sich jemand über Tage, Wochen, Monate nur aufopferte, selber an die Grenzen und drüber ging? Nicht mehr mochte, konnte? Und dann von einem Freund den Text kriegte und merkte: Ich bin auch noch da. Ich DARF mal für mich schauen? Und daraus etwas ganz Gutes und Wertvolles entstand?

Was helfen dann all die wissenschaftlichen Ergüsse? Ich kenne sie auch - man siehe oben. Ich habe, glaube ich, selten je so viele Fremdworte verwendet. Es klingt gut. Ich bin stolz. Es macht Spass. Ich halte wenig davon. Habe das in meiner ganzen wissenschaftlichen Zeit vermieden. Und mache es weiter. Und finde solche Sprüche ab und an heilsam. Sie regen zum Denken an. Sie sollen keine absoluten Wahrheiten sein, dafür greifen sie immer zu kurz. Klar kann man sie zerpflücken. Das klappt mit allem. Erfolgreich. Aber mit der Zerpflückerei geht es niemandem besser. Mit ein wenig Menschlichhkeit schon.

Beziehungsgeschichten

Beziehungen waren seit je her Anlass zu Überlegungen. Was macht sie aus, wie funktionieren sie, wie laufen sie ab? Literaten übten sich daran, sie zu beschreiben und in dem Beschreiben blosszulegen. Philosophen versuchten auf dem normativen Weg zu erläutern, was in Beziehungen gegeben sein muss, dass sie funktionieren, sei es im privaten oder auch im öffentlichen Rahmen. Psychologen gaben Anleitungen und Hilfestellungen, was man tun könnte, wenn sie eben nicht funktionieren, oder was man vermeiden sollte, damit man nie dahin kommt. Pfarrer predigen am sogenannt schönsten Tag, worauf zu achten sei, dass man sich bewusst sein solle, was man eingehe und dieses auch wertschätze. Und hinter allem steckt der Wunsch des Menschen, nicht alleine zu sein, ein Gegenüber zu haben, Liebe zu fühlen - erhaltene wie auch gegebene.

Der Wunsch ist gross, genau so gross wohl auch die Enttäuschung, wenn er eben nicht erfüllt wird oder man in diesem Wunsch eins ums andere Mal auf die Nase fällt. Wenn man sucht und sucht und sucht und  nie findet. Bald an sich zweifelt, bald am Gegenüber. Wenn man denkt, es müsse doch bald mal der kommen, der passt. Er aber nicht kommt. Und Frau verzweifelt nur noch um das eine Thema dreht, schreibend, redend, denkend. Solche Fälle gibt es und ich habe das Gefühl, das Verhalten steigert sich mit der Torschlusspanik des Alters. Orte werden nicht mehr an sich gesehen, sondern nur im Hinblick auf die Möglichkeit, den passenden Mann zu finden.

Doch wenn man ihn gefunden hat, scheint das Problem nicht aufzuhören. Dann fangen die Probleme erst an. Und dank der modernen Medien und sozialen Plattformen schaut die ganze Welt zu. Da werden Herzen ausgetauscht, Essen kritisch beäugt, über Facebook Einrichtungen diskutiert und Gutenachtwünsche platziert. Frau liest die gegenseitigen Kosenamen - fühlt sich an eine Episode im Supermarkt erinnert, als Frau dem Mann mit schriller Stimme LIIIIIIIEEEEEEEBLING hinterherrief und sieht dem eigenen Mann deutlich ins Gesicht geschrieben "hoffentlich macht meine das nie nie nie" - und denkt sich ihren Teil.

Und ab und an kriegt man auch die Leiden und Herzschmerze mit. Und hilft. Hört zu, rät, ist da. Nimmt es ernst. Weil man fühlt. Mitfühlt. Es entsteht ein Band, eine Freundschaft? Man könnte meinen. Dass die eine oder andere Anmerkung drüber hinausgeht, ignoriert man, in der Hoffnung, es sei ein Versehen. Und freut sich, wenn alles wieder im Lot, der Herzschmerz getilgt - mit einem kleinen Fragezeichen im Kopf der Anmerkung wegen. Das grössere Fragezeichen bleibt, weil plötzlich Stille herrscht. Das Band zerschnitten. Wieso? Was blieb von all den Worten? Phrasen nur? Schlechtes Gewissen? So oder so: was wirklich blieb ist das Gefühl, dass vieles leicht daher gesagt ist, man oft zweimal  überlegen sollte, ob man sich wirklich einhängen soll, Hilfe anbieten soll, wie man es im wahren Leben sofort täte. Und was noch viel mehr bleibt: man kriegt verdammt viel mit über andere Menschen. Über deren Beziehungen, deren Probleme, deren Lebenslügen. Und das ist erschreckend, weil man denkt: was kriegen die da draussen von mir mit? Und will ich das? Vor allem, wer kriegt es alles mit? Und wie tief? Und was macht er damit?

Soziale Medien sind sowieso Teufelszeug. Was mein bals 8ojähriger Papa schon lange unkt, scheint ein paar Wahrheiten zu haben. An dieser Stelle ein grosses Sorry zu meinem Papa, den ich immer mit genervtem Schnauben bedachte bei seinen Tiraden über das Internet und dessen Gefahren, über seine Warnungen vor Kinderfressern, Betrügern und Dieben, die da ihr Unwesen trieben. Ganz unrecht mag er nicht haben. Das Internet hat vieles erleichtert. Den Zugang zu Daten, den Zugang zu Menschen, den Zugang zu Herzen - oder wenn nicht Herzen so doch zur Versuchung. Ab und an vielleicht nicht mal bewusst, verstrickt man sich im Spiel mit dem Feuer. Beziehungen gehen in Brüche, weil der eine plötzlich den Mann/die Frau der Träume im Netz findet. Wenn das nur eine Illusion war, schaut man ganz schön doof in die Röhre (heute Flachbildschirm).

So sitzen dann Tag für Tag hunderte und tausende Menschen vor dem Bildschirm, twittern, facebooken vor sich hin, taggen, hooken, machen neue Freunde - und löschen sie wieder. Ganz cool, ganz unverbindlich, einfach mal so. Macht Spass. Der Begriff der Spassgesellschaft aus den 90er Jahren geht in eine neue Epoche. Und man muss wohl lernen, sich anzupassen. Sonst könnte man das noch ernst nehmen. Man könnte denken, Freunde seien Freunde und wollen nicht verletzen um des Spasses willen. Man könnte auch denken, Aussagen sind ernst gemeint. Da würde man wohl meist einer ganz grossen Illusion aufsitzen. Eigentlich schade. Und umso schöner, wenn man die Ausnahmen findet. Drum auch mal ein ganz grosses Dankeschön an die, welche ich über diese Medien kennen lernte und die mich doch teilweise über Jahre begleiten in meinem (realen) Leben.


Mittwoch, 20. Juni 2012

Das nächste Jahr wird besser

Es ist wohl komisch, im Juni ein Silvester-Thema anzuschneiden. Trotzdem kam es mir heute in den Sinn. Ich dachte nach. Das kommt ab und an vor. Bei mir zumindest. Und ich ging in Gedanken Jahre zurück. Ich erinnerte mich an all die Silvester, an denen ich dachte: Das nächste Jahr wird besser. Ich sass da und liess das vergangene Jahr Revue passieren, sah alles, was schwer war, was düster war, was Kraft kostete und war der festen Überzeugung: Das Jahr, das kommt, ist meines. Nun kann es nur noch aufwärts gehen. Und irgendwie... traf das nie ein. Im Gegenteil, es kam fast noch schlimmer. Enttäuschungen, Krankheiten, Todesfälle, schwierige Situationen pflasterten den Weg. Kämpfe an verschiedenen Fronten, ums Überleben, um Gerechtigkeit, um Liebe... und es hörte nie auf.

Man könnte denken, dass man das ein Jahr macht und eines Besseren belehrt wird. Vielleicht ein zweites Mal... aber Jahr für Jahr? Und doch: auch letzten Silvester sass ich wieder da und dachte: Das nächste Jahr wird besser. Es wird mein Jahr. Und das Jahr war wie jedes andere. Hatte schwierige Seiten. Herausforderungen, Rückschläge, Tiefschläge. Nur: es gab auch unendlich viele schöne Dinge. Immer wieder Highlights. Momente des Glücks. Kleine, grosse, wertvolle. Momente, in denen man die ganze Welt umarmen könnte. Einige zerbrachen wieder. Einige blieben. Aber sie waren da. Und gaben Kraft. Weiterzumachen. Weiterzuhoffen.

Und bei all dem kommt mir langsam die Erkenntnis: Das ist das Leben. Niemand sagte, es sei leicht. Niemand versprach das Paradies auf Erden (ausser vielleicht irgendwelche Heil versprechenden Märchenbücher). Das Leben ist ein Wachsen. An uns selber, an äusseren Umständen, an Beziehungen, an einsamen Momenten - am Leben selber. Wohin wir wachsen weiss niemand so genau. In die Erleuchtung? Die wahre Erkenntnis? Eigentlich ist es nicht wichtig. Wichtig ist, zu erkennen, dass wir es nicht ändern können. Wir können nur das in unserer Macht Stehende tun, das Beste draus zu machen.

Die Frage, die sich aufdrängt ist: Was ist das Beste? Ich denke, ein grosser Teil ist schon damit getan, sich einzugestehen, dass das Leben seine eigenen Gesetze hat, denen wir nicht entkommen. Es gibt Dinge, die liegen schlicht nicht in unserer Hand. Und die, welche in unserer Hand liegen, können wir nach bestem Wissen und Gewissen angehen. Im Wissen darum, dass das, was wir tun, das Beste ist, was wir geben können - für uns und andere. Und darum mit gutem Gewissen. Selbst wenn es dann schief geht, das Ergebnis nicht das erhoffte, erwünschte ist: wir haben uns nichts vorzuwerfen.

Mein Sohn sagte mal: "Weisst du Mama, ich kann nicht immer alles geben. Manchmal geht einfach nur ein Teil davon. Und dann gab ich ja nicht das Beste." Ich fand den Gedanken gut. Denn: Was ist das Beste? Es ist nicht das beste überhaupt Mögliche, sondern das, was in einem bestimmten Moment geht. Ab und an fehlt die Kraft, alles zu geben. Woher soll man also alles nehmen, wenn nichts da ist? Wenn man aber denkt, ich geb mal ein wenig, sehe dann, ob es reicht, kann wieder nachreichen, wenn nicht - dann darf man sich gerne an die eigene Nase fassen. Klar kommt man so ab und an durchs Leben, einige Glückspilze sogar sehr lange. Doch irgendwann wird man anstehen. Und merken, es geht nicht weiter. Im Gegenteil. Und dann wird man sehen, dass man nie gelernt hat, an seine Grenzen zu gehen. Einsatz zu zeigen. Man ruhte sich auf halber Strecke aus. Gab sich zufrieden. Es reichte. Und selbst wenn man so ab und an bessere Ergebnisse erreichte als andere: Sie waren nicht höher zu bewerten. Weder nach aussen noch nach innen. Denn im Innern, irgendwo, bleibt die Stimme: Ich habe das nicht verdient. Und sie nagt. Am Anfang unbemerkt, später lauter. Glücklich macht das nicht. Und auch all das Geld, aller Reichtum, alle äussere Achtung nicht. Wirklich zählen tut die innere Achtung. Schlussendlich. Wenn alles andere wegfällt, weil es platt wurde. Und dann steht man da. Nackt. Vor sich. Und fragt sich.

Ja, es kann besser werden. Immer wieder. Anfangen kann man nur in sich selber, bei sich selber. Indem man tut, was man tun kann. Und diese Gewissheit bewahrt: Ich habe mein Bestes gegeben. Und stolz auf sich ist. Sein kann. Denn dann erkennt man auch: Wahre Zufriedenheit kommt nie von aussen. Sie wächst aus einem selber. Und klar ist es schön, wenn äussere Dinge sich ergeben, schön sind, Freude machen. Wenn aber das innere Feuer der Freude und der Zufriedenheit nicht brennt, werden die äusseren in Rauch aufgehen, ohne je Wärme abgegeben zu haben.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Wider die Vernunft

Als ich heute die Treppen hochstieg zu meiner Wohnung, sinnierte ich über die Vernunft. Vom Menschen als ihm eigene und ihn über das Tier erhebende Eigenschaft erkannt und gewertet. Wer kennt nicht Sätze wie:

  • Du musst doch vernünftig sein!
  • Ist das wirklich vernünftig?
  • Du verhältst dich absolut unvernünftig. 

Wer hat nicht schon geschwankt zwischen dem, was vernünftig wäre und dem, was er will. Und sich vielleicht dann zum Satz geflüchtet:

Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît point.

Was aber ist eigentlich Vernunft? Mir kam auf die Schnelle folgende Definition in den Sinn:

Vernunft ist das, was bleibt, wenn alle Gefühle rationaler Berechnung gewichen sind. 

Und wenn ich dann in mich gehe und mich frage, ob ich das will, schreit alles in mir ganz laut: NEIN. Ich möchte gar nicht vernünftig sein. Ich möchte meinem Herzen folgen und tun, was ich tun möchte. Ich möchte nicht bei allem meine Gefühle wegpacken und die Dafürs und Dawiders gegeneinander stellen, möchte nicht ständig im Widerstreit der gegenteiligen Argumente hin und her geschleudert sein und innerlich denken: Aber ich will doch.

Und doch, bei all dem Wollen und Sehnen und innerlichen Schreien und Freistrampeln von all den ach so vernünftigen und rationalen und so unromantischen Begründungen und Argumentationsketten ist neben der Stimme, die doch eigentlich will, auch oft die Stimme, die sagt: Ich kann doch aber nicht. Die Stimme kommt von tief unten. Zwar ist sie vielleicht nicht so sehnsüchtig, nicht so lustvoll, aber doch sehr präsent. Und eingeübt. Und eingeimpft. Von klein auf. Bei vielen dieser Stimmen hört man noch den Tonfall des sie ursprünglich Aussprechenden und damit Einimpfenden mit.

  • Du kannst nicht einfach schnell barfuss zum Briefkasten laufen, du erkältest dich - Papa drückt durch. 

  • Du kannst das Geschirr nicht stehen lassen, was du heute aufräumst ist morgen nicht mehr da - wieder Papa. 

  • Du kannst nicht einfach laut singen, deine Stimme ist hässlich - Barbara aus der zweiten Klasse (ich sang nachher nie mehr laut, zumindest nicht, wenn jemand zuhörte)

Aber ich will doch! Aber was, wenn ich mich dann erkälte? Was, wenn ich morgen in die Küche komme und mich ärgere, dass der Abwasch noch nicht gemacht ist? Was, wenn alle lachen, weil ich so schrecklich singe und sich fragen, ob ich nicht wisse, dass meine Stimme ganz schrecklich ist?

Du kannst dem nicht einfach sagen, dass du dich verliebt hast. Was, wenn er nur Spass will ("der will doch nur spielen, der bleibt nicht" - Frei nach Hundebesitzer)? Was, wenn ich ihn damit vergraule? Was, wenn ich mich bloss stelle? Lächerlich mache? Ich kriege schon hochrote Ohren, wenn ich daran denke. Ich kann doch wirklich nicht. Und sitze da. Aber ich will doch? Also eigentlich will ich ja nicht, aber ich möchte wissen, was er will und das weiss ich ja nur, wenn ich endlich mal sage, was ich will, denn er sagt ja nichts. Wobei eigentlich könnte auch er etwas sagen, ich meine, er ist ja der Mann. Wobei, es könnte ja auch ein gutes Zeichen sein, dass er nichts sagt, weil das würde ja darauf hinweisen, dass er vielleicht schüchtern ist. Und nicht so geübt. Würde er gleich rauspreschen und mir die Sterne vom Himmel holen, könnte das ja durchaus sehr routiniert aussehen. Aber trotzdem will ich eigentlich, dass er was sagt. Und eigentlich will ich auch selber was sagen. Das ist alles verdammt schwierig.
Vernunft ist irgendwie die sichere Seite, bei der man immer schön ohne Risiko, weil berechnet und damit rational durchs Leben geht. Leider bleibt dabei auch viel auf der Strecke. Und schlussendlich ist all die Berechnung auch nur Wahrscheinlichkeit, da sie immer den eigenen Gedanken entspringt, vielleicht abgestützt auf eigene oder fremde Erfahrungen, die auch wieder nur eine Wahrscheinlichkeit ist, da sie singulär und damit nicht absolut gültig.

Was bleibt? Es lebe die Unvernunft? Herz voran, Herz auf die Zunge und drauf los? Wer nichts wagt, der nichts gewinnt? Vermutlich ist ein Mittelweg das beste (wobei nur schon der Satz wieder sehr vernünftig klingt und damit die Vernunft schon wieder siegreich scheint). Das Herz lenkt, das Herz bestimmt, die Vernunft kann Fallschirm sein. Wenn einen nur eigene Ängste hindern, etwas zu tun, das man gerne tun möchte, die Gefahren nicht wirklich schlimm, sondern vielleicht ein wenig gebrochenes Herz und verletzter Stolz sind, ist das, was man gewinnt, wenn man dem Herzen folgt, um einiges wertvoller, denn man hat sich getraut, zu sich selber zu stehen. Und selbst wenn nicht das dabei rauskam, was man sich erträumt hat, so doch das Gefühl, ganz sich selber gewesen zu sein. Und irgendwann wird man auch merken, dass das das Schönste überhaupt ist. Und witzigerweise auch das, was einen meist weiter bringt. Niemand lacht einen aus, weil man Gefühle zeigt. Selbst wenn sie nicht erwidert werden. Und tut es einer, dann wäre er es sowieso nicht wert gewesen. Menschen, die auf deinen Gefühlen rumtrampeln, sie mit Füssen treten, sich darüber lustig machen oder sie schlicht nicht behutsam behandeln, sind es nicht wert, sich nicht zu trauen, zu ihnen zu stehen. Denn schliesslich und endlich zeigt es nur die Schwäche der anderen, indem sie nämlich sehr wenig gefühlvoll umgehen - und wie sie das mit dir tun, tun sie das mit grösster Wahrscheinlichkeit mit sich selber.



Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, diesen Blogbeitrag zuerst zu gliedern im Kopf, stichwortartig zu Papier zu bringen, den roten Faden zu suchen, statt ihn in wenigen Minuten im Akkord in die Tasten zu hämmern. Aber mir war grad danach. Ich wollte einfach. Und so tat ich. Und immerhin, wer das noch liest, blieb  bis zum Schluss. Danke!

Donnerstag, 7. Juni 2012

Sex sells

Wieder einmal wurde ich durch einen Blog von Gesine zum Nachdenken gebracht. Ist ein Buch sexy? Muss es das sein?

Dass die Gesellschaft immer mehr sexualisiert wird, macht schon lange die Runde. Sex sells - so das alte Wort und es hat viel Wahres. Autos und Motorräder werden mit nackten Frauen aufgewertet, Filme mit Bettszenen gespickt, Fotomodelle haben immer weniger Stoff und immer mehr Haut. Joghurtwerbung zeigt den flachen sexy Bauch und Schokoriegel werden von ultraschlanken Joggerinnnen in knappen Höschen beworben. Die Strategie scheint Erfolg zu haben, sonst wäre sie einer neuen gewichen. Ich denke aber nicht, dass sie überall funktioniert und ich denke zudem, dass irgendwann mal Schluss ist, das Mass voll. Langsam macht sich auch Überdruss breit. Hörte man am Anfang noch die Feministinnen aufschreien und sich über Sexismus beklagen - was wohl das Interesse daran eher steigerte denn minderte -, so sieht man immer mehr gelangweilte Gesichter. Krimis werden nicht spannender, wenn sich der Kommissar die halbe Zeit statt dem Fall der netten Praktikantin zuwendet und auch Actionfilme nicht mitreissender, wenn die Agentin mehr Wert auf den Schlitz im Rock als auf die Verfolgung des ewig Bösen legt.

Wie steht es beim Buch? Das Cover ist sicher ein Kriterium für den Buchkauf. Spricht es an, ist schon mal der erste Blickkontakt hergestellt und der erste Eindruck ist doch immer auch ein prägender. Ob das aber sexy sein muss? Ich wage es zu bezweifeln. Ich denke, gerade bei Büchern ist das Argument eher nicht massgebend. Das Cover und die Aufmachung sollten das widerspiegeln, was drin ist. Wenn ich ein Sachbuch zum Unergang des Dritten Reiches lesen will, wird mich ein Cover mit einem amerikanischen, leicht bekleideten Pinup Girl eher abschrecken, denke ich mal. Da könnte es so sexy sein, wie es wollte. Bei Büchern und ihrem Erscheinungsbild gilt es also, den Inhalt prägnant, eingängig, geschmackvoll und treffend zu präsentieren.

Ist ein Buch an sich sexy? Spontan kam mir das in den Sinn:

Die kühle Seide des Lakens schmiegt sich an den Körper, während das Papier des Buches neben mir ein verlockendes Rascheln von sich gibt. Was verbirgt sich hinter der nächsten Seite? Womit werde ich beglückt? Meine Spannung steigt ins Unermessliche, langsam fahre ich mit der Zunge über die Lippen. Der Buchdeckel liegt warm durch die Berührung in meiner Hand. Er fühlt sich so vertraut an. Ich halte es nicht mehr aus. Ich muss es wissen. Ich blättere um uns stürze mich gierig in die Buchstaben.


Ist ein Gegenstand an sich sexy? Ich denke kaum. Das sind Zuschreibngen, die die Werbeindustrie macht. Sie will damit erreichen, dass etwas mehr Anklang findet und damit gekauft wird. Das habe ich oben schon erläutert. Muss ein Buch sexy sein? Die Frage wäre: wieso? Was bringt mir ein sexy Buch? Denke ich dann beim Lesen, wenn ich nicht mehr weiter mag, weil es ätzend ist, dass es aber sexy ist und lese beschwingt weiter? Klar, man könnte sagen, das Buch ist dann schon gekauft und damit die Rechnung aufgegangen. Langfristig wird das sicher nicht klappen. Bücher sind sicher eher nicht sexy. Ihnen haftet was streberhaftes an, etwas langweiliges, ruhiges. Und heute muss alles schnell, cool, trendig sein. Daher wohl die neue Schiene, auf die man das Buch zwingen will. Man erhofft, einen neuen Markt zu eröffnen. Den der coolen Menschen. Man vergisst dabei, dass das, was man mit dem wenn auch noch so sexy Gegenstand machen kann, immer dasselbe bleibt: lesen. Und das mag man oder mag es nicht. Man greift sicher eher zum Buch im Laden, wenn das Cover anspricht. Aber das tut es auch ohne Sexappeal - ich wiederhole mich.

Bin ich sexy, wenn ich lese? VIelleicht, wenn ich wirklich in kühler Seide mich räkelnd da liege. Aber auch das hat dann eher wenig mit dem Buch zu tun. Was bleibt? Buch bleibt Buch. Und damit wohl eher unsexy. Und das ist in meinen Augen auch gut so, Zwar verstehe ich den verzweifelt anmutenden Kampf um den immer kleiner werdenden Markt durch die immer grösser werdende Konkurrenz, allerdings wird man den in meinen Augen nicht gewinnen, indem man auf Attribute setzt, die mit dem Produkt wenig gemein haben. Sinnvoller wäre es, die Stärken des Produkts hervorzuheben und derer gibt es genug. Auf das von allen anderen Kampagnen schon eher abgenutzte Konstrukt des "Sex sells" zu setzen, kommt eher einer Abwertung des Buches gleich, da man ihm damit die eigenen Vorzüge abspricht und es über andere Wege an den Mann/die Frau zu bringen hofft.