Donnerstag, 3. November 2011

Verzeihen

Verzeihen heilt Wunden. Die eigenen vor allem. Indem ich verzeihe, kann ich mit etwas abschliessen, das mich beschäftigt, das mir weh tat, das mich verletzte. Die TRC in Südafrika unter Desmond Tutu hat auf Verzeihen gesetzt, weil man davon ausging, wenn die Menschen, die vorher unterdrückt und traumatisiert waren, verzeihen können, dann können sie in eine Zukunf frei von diesem Trauma schauen. Dann befreien sie sich selber von dem Trauma.

Was aber braucht es, um verzeihen zu können? Sicher zuerst das Zugeständnis, dass wirklich ein Fehler passiert ist. In Südafrika hat man Anhörungen veranstaltet, in denen die Menschen über das, was ihnen passiert ist, reden konnten. Indem sie erzählen konnten, welches Unrecht ihnen widerfahren ist, welche Zustände und Diskriminierungen sie erdulden mussten, welche Gewalt und welchen Verlust auch, sollten sie eine Plattform erhalten, die vorher fehlte und es sollte so ein Zeichen gesetzt werden, dass man ihnen ihr Unrecht anerkennt, sie als Opfer sieht und ihnen diesen Status zuerkennt. Durch dieses Vorgehen sollten sie sich von dem Schmerz befreien können und fortan ohne die vorher plagenden Alpträume, ohne die Nachwirkungen des Traumas in eine Zukunft gehen können. Zudem geht es gerade in solchen staatlichen Fällen auch darum, dass in der Zukunft die vormaligen Opfer und Täter wieder nebeneinander leben können müssen, denn nur so kann die Zukunft in einem Miteinander enden.

Was heisst das nun im Privaten? Was, wenn mir jemand ein Unrecht antut? Was, wenn ich leide, unglücklich bin, Schmerzen habe? Wie komme ich zum verzeihen? Es gibt sicher zwei Faktoren: ich kann dem andern innerlich verzeihen, indem ich für mich meinen Frieden finde mit dem, was passiert ist. Das ist nicht immer einfach, da dabei der andere fehlt, sein Zugeständnis fehlt, das es einem einfacher macht. Wenn er kommt und einsieht, was er getan hat, wenn er bereut, was er getan hat, dann fällt es leichter, zu sagen: Fehler passieren, es war nicht schön, es tat weh, aber ich verzeihe das. Und mit diesem Verzeihen kommt sicher auch ein Stück Ruhe zurück ins Leben. Wenn er aber diese Geste verweigert, weil er es nicht einsieht oder einsehen kann, weil er sich nicht stellt? Es wäre schade, dann auf die eigene Ruhe verzichten zu müssen. Zudem würde man sich ein zweites Mal vom andern abhängig machen und ihm noch einmal die Möglichkeitkeit geben, das eigene Leben zu bestimmen. Schliesslich und endlich habe ich alles, was ich für mich und mein Seelenwohl brauche, in mir drin. Wenn ich für mich hinschauen kann, sehen kann, was passiert ist, auch vielleicht meinen eigenen Anteil daran erkennen kann und annehmen kann, dann bin ich sicher schon einen guten Schritt weiter. Wenn ich dann dahin gehen kann und akzeptieren kann, dass die Vergangenheit war, wie sie war, hinschauen kann, was sie mit mir gemacht hat, bewusst damit umgehen kann, was noch da ist von dem Unrecht, was noch immer betrifft, dann habe ich eine Hürde genommen, indem ich mein Leben selber bewusst anschaue. Und von dem Punkt aus kann ich auch in die Zukunft gehen, denn dann habe ich wieder die Verantwortung für mein Leben übernommen. Ich habe es nun in der Hand, wie es weiter geht. Ich kann bewusst mit meinen Mustern, Prägungen und Wunden umgehen.

Was folgt auf Verzeihen? In Staaten ist es wünschenswert, dass am Schluss alle in Kooperation und friedlich miteinander leben und zusammen weiter gehen. Im Privaten ist das nicht immer einfach und vor allem nicht zwingend nötig. Es gibt den Ausspruch, dass jeder eine zweite Chance verdient hat. Mein Sohn sagt, nicht jeder hätte das verdient, es gäbe auch Taten, die hätten sich die zweite Chance verspielt. Wann eine zweite Chance möglich ist, ist wohl individuell. Vermutlich nur dann, wenn die innere Überzeugung da ist, dass das, was einmal passiert ist, nicht nochmals passiert. Und wenn die innere Wunde nicht zu gross ist. Zeit heilt viele Wunden - ob alle?

Das Problem mit den inneren Wunden ist, dass sie - wenn sie einmal da sind - das Leben generell prägen. Auch die, welche die Wunde nicht verursacht haben, werden damit umgehen müssen, dass der so Verwundete aus Angst, noch mehr Wunden zu erhalten, vorsichtiger wird. Geprägt ist durch die Wunden der vergangenen Zeit. Vermutlich ist Zeit in jedem Fall das Zauberwort. Sich selber die Zeit geben, Sicherheit zu gewinnen, dass keine neuen Wunden geschaffen werden, selber die Sicherheit auch zu haben, dass man mit neuen Verletzungen, die durchaus auftauchen können, umgehen kann und zu wissen, dass man fähig ist, durch Verzeihen selber wieder auf die Beine zu kommen.

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