Montag, 26. Dezember 2011

Opferrollen

Oft sehen wir uns in Zwängen. Das Leben, in dem wir stecken, ist nicht das Leben, das wir leben wollen oder das wir uns als unser Leben vorstellten. Wir sehen Menschen, von denen wir nicht loskommen, Jobs, in denen wir feststecken, Gefängnisse, wo wir hinsehen. Rousseau sprach von Ketten, in denen der Mensch liegt. Er sah den Staat als Anketter des vormals frei geborenen Menschen. Der Staat besteht aus Menschen und ist menschgemacht. Gemacht von Menschen, die gewisse Regeln, gewisse Normen, gewisse Ansprüche verwirklicht haben wollen, um ein Zusammenleben zu ermöglichen. Dabei gehen oft persönliche Bedrüfnisse unter zu Gunsten eines Gemeinwohls. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, das ist rational angebracht. Es wäre verhehrend, wenn um des Wohles einzelner Willen die Mehrheit litte. Wohin das führt, ist in vielen schwarzen Beispielen der Geschichte dokumentiert. Trotzdem ist es nicht glücksbringend, wenn man die eigenen Bedürfnisse ständig übergeht. Vor allem dann nicht, wenn dieses Übergehen nicht mal einem Gemeinwohl dient, eigentlich unterm Strich niemandem dient als eigenen zurechtgelegten Begründungen und Ansprüchen.

Oft auferlegen wir uns unsere Ketten selber, indem wir denken, auf eine gewisse Weise handeln zu müssen, um Ansprüchen zu genügen, die oft nicht von uns selber stammen, sondern in uns hineingeimpft wurden. Sie sitzen als übergeordnete Stimmen in uns und weisen den Weg mit drohender Stimme: "Du kannst das nicht tun, das gehört sich nicht!" Oder es sind Ängste, die uns in Ketten werfen: "Wenn du das tust, passiert etwas ganz Schlimmes!"

Leider sind wir nachher nicht glücklich, wenn wir diesen Stimmen folgen, im Gegenteil, in uns nagt eine Unzufriedenheit, ein Fluchtgedanke kommt auf, der sagt: das halte ich nicht aus, ich muss hier raus. Man denkt, dass irgendwo da draussen etwas auf einen wartet, das viel lebenswerter ist als das, was wir leben. Und indem wir am Alten festhalten, das Neue suchen, machen wir das Leben nicht wirklich lebenswerter. Wir begeben uns in eine Doppelwelt, in der wir uns zerreissen zwischen zwei Polen und bei keinem mehr zu Hause sind. Was dabei vergessen wird ist, dass man nie an den Punkt kommt, an den man will, wenn man mit einem Bein auf einem andern Punkt steht. Man steht nur mit beiden Füssen gut auf dem Boden, alles andere ist instabil. Der Gedanke, den zweiten Fuss nachziehen zu können, wenn der erste mal abgstellt ist, ist ein Irrgedanke. Das Fundament ist wacklig gebaut auf diese Weise.

Um einen richtigen Stand zu haben, muss das Fundament stimmen. Ist das, was man lebt, nicht das, was man leben will, gibt es nur den Weg, das zu ändern. Entweder ändert man es im Bestehenden oder aber man sieht, dass das nicht mehr stimmt und verlässt das. Erst dann ist man frei genug, Neues zu bauen. Alles andere wird nur im Chaos enden - für sich und für alle andern. Die Menschen im neuen Leben werden sich nicht wirklich gewollt fühlen, die im alten wähnen sich in einer Scheinsicherheit, die irgendwann jäh zusammenstürzt. Und man selber verliert sich selber im Hin und Her.

Der alte Spruch: das eine tun, das andere nicht lassen greift in diesem Falle selten. Nicht aus moralischen Gründen, sondern aus rein emotionalen. Gesetzt den Fall, man sucht keine Beliebigkeit, sondern Einmaligkeit - die eben trägt und verbindet. Und so lange wir uns nicht darauf einlassen, fühlen wir uns als Opfer unseres Lebens, das uns verunmöglicht, was wir eigentlich wollen, ohne zu merken, dass wir es selber sind, die wir uns im Wege stehen.

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