Mittwoch, 8. Februar 2012

Der Weg ist das Ziel

Rilke schrieb ein Gedicht, das ich oft als Motto für das Leben sehe: Ich lebe das Leben in wachsenden Ringen.... den letzten werde ich vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.

Das Leben schreitet immer vorwärts. Wir gehen unseren Weg, haben Träume, Ziele, gehen sie an, fallen zurück, rappeln uns wieder auf, fallen auf die Nase, um wieder hochzukommen und weiter zu gehen. Peter Reber sang mal im Lied "Stürmischi Zyte" "vo zwe schritt wod hesch vorwärts gmacht, bisch eine fürsi cho u langsam hets dir dämmeret es sig halt im läbe so"... und ja, es scheint oft so: man fällt immer mal wieder auf die Nase. Im Rückblick denkt man oft "Ich hätte es wissen können, ich habe es gar gewusst, aber mir und meinem Wissen nicht getraut. Wieso? Weil wir uns an falsches Wissen hängen. Wir denken, dass das, was wir lernen, was wir logisch folgern, aus dem Hören ableiten, Wissen sei. Aber das ist nur Gelehrsamkeit - im besten Falle. Laotse unterscheidet in seinem Tao te King zwischen Wissen und Gelehrsamkeit - Patanjali tut es in seinen Yogasutras ebenso. Und wir selber denken, zu wissen, wie der Hase läuft. Dabei übergehen wir das wirkliche Wissen ständig. Wir klammern uns an Scheinwissen, ohne zu merken, dass wir eigentlich nichts wissen. Und dieses Klammern ans Wissen erzeugt Leiden, das erst endet, wenn wir an dem Leiden leiden (auch eine Weisheit aus dem Tao te king, die mein Sohn als wenig sinnvoll erachtet - wer kann es ihm verübeln, mutet es doch wie eine doppelte Verneinung an, die schon mathematisch komplex genug ist, sprachlich umso schwieriger).

So oder so, um nicht noch weiter abzuschweifen und am Schluss bei der Quantenphysik zu landen: das Leben gestaltet sich in Rückschritten, die unterm Strich immer Fortschritte mit sich bringen. Und auch wenn wir im ersten Moment enttäuscht sein mögen, es nicht so lief, wie wir es uns erträumten, am Ende schaut was raus. Und wir sind einen Schritt weiter. Selbst wenn wir drei dafür gingen, zwei vorwärts, einen zurück - den einen Schritt nimmt uns niemand mehr. Er mag mit Schmerzen, Leid, Tränen verbunden gewesen sein, aber: er ging nach vorne. Und führte uns auf unserem Weg zum nächsten Ring, den wir versuchen, den wir gehen.

Ich halte es nicht so mit Versuchen. Ich versuche es mal heisst für mich: ich kann es auch gleich lassen. Ich bin ein Mensch der Tat - ich gehe oder gehe nicht. Und wenn ich gehen will, will ich gleich gehen. Morgen gehen dann die andern, dann will ich schon da sein. Ich weiss, dass ich die Leute um mich damit überfahre. Überfordere. Ich bin bei Schritt eins im Geiste schon bei Schritt 8. Und kenne damit das Ziel, wo ich hin will. Die Geduld, die anderen Schritt 2-7 noch gehen zu lassen, ist schwer auszuhalten. Und doch werde ich es wohl lernen müssen. Noch bin cih weit davon entfernt und denke ab und an wieder, besser den Weg alleine gehen, dann gibt es keine Schritte zurück. Die Schritte 2-7 könnte ich ignorieren, ich wäre gleich bei 8 und alles wäre gut. Doch vermutlich wäre das eine Illusion. Wir kriegen wohl im Leben das immer und immer wieder vorgesetzt, das wir noch lernen müssen. Vor 9,5 Jahre kam meine grösste Geduldsprobe auf die Welt. Ein Kind, das die Ruhe in Person ist. Das sich drehen und wenden und nochmals drehen kann und noch immer nicht vom Fleck kam. Für eine Mutter, die Schritte 2-7 auslässt und bei 8 weiter geht eine echte Herausforderung. Wir meistern sie täglich aufs Neue. Und so kamen wohl noch so ein paar Herausforderungen mehr dazu. Yoga war die, welche hilft, es zu tragen. Hinzuschauen. Zu reflektieren. Manchmal einen Schritt zu spät. Aber immerhin. Doch ich bleib ich und das Temperament bleibt. Da hilft kein YOga und wegatmen lässt es sich auch nicht. Die Schritte 2-7 sind einfach zuuuu lang. Aber ich strenge mich an. Das ist der letzte Ring - ich will ihn schaffen, weil: Der Weg ist das Ziel - neben dem Ziel, das ich will. Und da ich es will, gehe ich den Weg. Beständig. Mal leicht, mal ungeduldig, mal fluchend wie Bligg in "Fahr emal", mal schimpfend wie Kate Perry "Fuck you", mal weinend wie Johnny Cash in "Hurt" oder wie Nazareth in "Love hurts" - aber immer im Wissen: den letzten werde ich vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.

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