Freitag, 9. März 2012

Von Urteilen und Selbstsicht

Anusara Gründer John Friend steht unter Beschuss. Er soll Verhältnisse mit verheirateten Frauen gehabt haben. Dazu noch ein paar andere Vorwürfe, welche alle nicht belegt sind, nur ins Betz gestellt, öffentlich gemacht, um den Yogi zu diffamieren, blosszustellen. Und die Menschen reagieren prompt und distanzieren sich, sind empört, verstehen die (Yoga-)Welt nicht mehr. Über Jahre war er der umschwärmte, der verehrte, der grosse Yogalehrer, welcher ein wirklich durchdachtes, Herz öffnendes und gesundes Yogasystem begründet hatte und nun mit viel Humor, Wissen, Charme und wirtschaftlichem Denken vertrieb. Der Sockel wurde immer höher, der jähe Fall für alle Seiten umso härter.

Die Frage, die sich stellt, ist: Was ist so schlimm daran? Sind wir wirklich der Meinung, wer Yoga macht, ist von allen Lastern frei, ist unfehlbar und ein Mensch, der nur noch auf tugendhaften Pfaden wandelt? Haben wir selber keine dunklen Seiten mehr, keine Wut, keine Gier, keine Eifersucht, keine negativen Gefühle und kein Verlangen nach Dingen, die wir besser nicht hätten? Yoga als Radiergummi für unsere Schatten? Gehören die nicht genau so zu uns wie die guten Seiten? Geht es nicht einfach darum, mit unseren Schatten umgehen zu lernen?

Keiner sagt, es sei gut, was er tat (sofern er alles tat, was ihm vorgeworfen wurde). Beziehungen, die andere Beziehungen stören, sind nie schön und ich bin die letzte, die diese toll findet. Nur: wer sind wir, über ihn zu richten? Und was hat das mit seinem Yoga zu tun? Ist er nun der schlechtere Mensch als vorher, als er noch auf dem von vielen gebauten Sockel stand? Ist Anusara nun weniger wert? Wo sehen wir uns bedroht, dass wir ihn stürzen müssen - in unseren Köpfen und im Yogaleben? John Friend ist zurückgetreten von seinen Ämtern, geht in sich und will geläutert wieder raus kommen. Er will aus seinen Fehlern lernen und steht dazu, welche gemacht zu haben. Grossartig. Was kann er mehr tun? Was ist nun unser Zutun zu der Sache?

Vielleicht haben wir mitgebastelt an dem Fall, indem wir den Sockel überhaupt bildeten? Wie oft stellen wir Menschen auf Podeste, erachten sie höher, schauen zu ihnen auf und ermöglichen ihnen so erst den Fall. Auf dieser erhöhten Position sind sie unter ständiger Beobachtung, was einen Druck erzeugt. Druck erzeugt auch Gegendruck. Zudem ist die Aussicht besser und man sieht viele Versuchungen deutlicher, die man unten im Feld der anderen gar nicht wahrgenommen hätte und vielleicht auch nicht gehabt hätte? Wie manche Frau fand es nicht toll, den berühtmen John Friend als Verehrer zu haben? Wäre er nur irgendwer gewesen, wären sicher ein paar der Verfehlungen weggefallen. Ist nun nur er schuld? Weil er schlicht mehr Gelegenheiten hatte? Hätten alle, die nun ausrufen, diesen allen widerstanden? Es richtet sich gut aus dem ruhigen Sofa, das keine Versuchung ausstrahlt ausser der des eigenen Müssiggangs, welchen niemand richtet, da ihn niemand sieht.

Vielleicht sind solche Situationen auch immer gut, die eigene Position zu überdenken. Hinzuschauen, wieso sie einen so erschüttern, hinzuschauen, wieso man überhaupt solche Sockel baute. Und hinzuschauen, wie man mit Urteilen und Verurteilungen nicht zurückhält.

Jesus sprach gut, als er sagte, dass wer ohne Sünde sei, den ersten Stein werfen soll. Wir alle haben unsere dunklen Seiten, wir alle sind nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Wir alle hätten wohl noch viel mehr davon, hätten wir mehr Gelegenheit dazu. Daher wohl auch der Spruch "und führe mich nicht in Versuchung", denn wir wüssten nicht, ob wir ihr widerstehen könnten. Diese Aussprüche sind so tief, so wahr, gehen über die Grenzen der sie beinhaltenden Religion hinaus, so dass sie in meinen Augen viel aufzeigen. Darum stehen sie da. Und ab und an hilft es vielleicht, wenn wir wieder dabei sind, ein Urteil über jemanden zu fällen, kurz innezuhalten und zu sehen, woher unser Urteil kommt, ob es angebracht ist und wem es etwas bringt.

Ich sage nicht, man soll jedem seine Fehler durchgehen lassen. Aber oft hilft ein liebevolles Begleiten aus den Fehlern mehr als ein hartes Veruruteilen. Einem selber und dem andern.

2 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Ein wenig problematisch ist bei Yoga-Gurus, dass sie als Vorbilder im Sinne Buddhas verehrt werden. Ich halte nichts von Personenkult. Bei anderen würde ich Deinen Text schon unterschreiben. Sagen wir zum Beispiel damals bei Bill Clinton, dessen persönliche „Verfehlungen“ schliesslich nichts mit seiner Amtsführung zu tun gehabt haben. Diese Argumentation ad hominem ist sinnlos und eigentlich kein Argument. Im Gegenteil: ein ad hominem vorgebrachtes Argument ist niemals „gültig“ in dem Sinn, dass eine These dadurch widerlegt wird. Sie dient schliesslich nur der Diskreditierung dessen, der die These formuliert hat. Hier ist es bei einem Yogi natürlich etwas anderes, da Yoga auch dadurch lebt, dass Ideale (Lebensentwürfe) formuliert werden und man versucht, danach zu leben. Ein Guru ist dann jemand, der diesen Idealen sehr nahe kommt. Ein Vorbild. Die Möglichkeit des Fehlens ist der wohl grösste Nachteil der Personalisierung von solchen Idealen. Andererseits brauchen wir wohl solche Vorbilder, um uns der Erreichbarkeit der Ideale zu vergewissern.
Ich weiss nun nicht, ob John Friend für sich den Anspruch erhoben hat, einen untadeligen Lebenswandel zu führen (die Webseite war mir etwas zu chaotisch strukturiert). Jedenfalls wird der Anspruch an ihn gestellt. Und ich weiss auch nicht, ob die ihm unterstellten Verfehlungen mit seiner Lehre korrespondieren oder aussen vor sind. Jedenfalls kann er als Beispiel für meine Einwände gegen den „Yoga-Weg“ dienen.

Cosima hat gesagt…

Thomas, ich gehe wohl recht in der Annahme, dass du nie ernsthaft Yoga gemacht hast? Ich gehe wohl weiter recht in der Annahme, dass du alles, was du über Yoga weisst, irgendwo am Rande angelesen hast? Was genau verstehst du unter "Yoga-Weg"? Was beinhaltet er? Was ist ein Yoga-Weg?

Philosophien sind immer normativ. Es ist das, was man anstrebt. Perfektion ist selten möglich, selten auch nur angestrebt. Ob John Friend ein Guru ist? Ich denke nicht. Ob er dem Anspruch genügen wollte? Auch das denke ich nicht. Er hat Yoga insofern gedient, als er eine Form von Yoga ausarbeitete, die ein gutes Fundament bietet, die den Körper schützt und das Herz öffnet.

Er hat sicher nicht überall richtig gehandelt, keine Frage. Wo die Verfehlungen wirklich liegen, wie tief sie gehen, weiss ich nicht. Aber ich bleibe bei meiner Aussage, dass jeder Mensch Fehler machen kann und darf. Wichtig ist doch, sie einzusehen und dafür grade zu stehen. Und auch ein Yogi ist nur ein Mensch. Wäre er erleuchtet, würde er kein Yoga mehr machen. Dann wäre er nämlich eine Stufe weiter. John Friend selber hat sich immer auch als Schüler bezeichnet.

Eigentlich geht es mir auch nicht direkt um John Friend, sondern eher um die Abgötter, die man sich selber schafft. ich halte wenig von ihnen. Wer Abgötter schafft und Podeste errichtet hilft selber, dieselben einstürzen zu lassen. Und daher rührt wohl dann auch die Betroffenheit, weil man selber in seinem Erschaffen fehlte... und nun irgendwie selber mitfiel.