Mittwoch, 4. April 2012

Vorpreschen und zurückkrebsen

Es gibt die seichten Bäche, welche dahinplätschern, gleichmütig, ohne Höhen und Tiefen, einfach ruhig, besinnlich fast, beruhigend, still. Dann gibt es die Flüsse, die ziehen, ausbrechen, hochspritzen, Gischt produzieren, wieder zur Ruhe kommen, um bald wieder loszuströmen. Ich gehörte - wäre ich ein Gewässer - wohl zu der zweiten Sorte. Ich bin so ein himmelhochjauchzend-zutodebetrübt Wesen, welches sehr schnell begeistert ist von Dingen, um bald darauf zu merken, dass sie doch nicht so toll sind. Dabei stürze ich mich meist auf Dinge, die mir eigentlich gar nicht entsprechen, die aber wohl durch ihre Fremdartigkeit doppelt verlockend scheinen. Beispiel? Beispiel:

Ich bin ein sehr beweglicher, ausdauernder, aber nicht sehr kraftvoller Menschentyp. Vom Muskeltyp - so erklärte mir mal ein Fachmann - bräuchte ich viel mehr Aufwand, Muskeln aufzubauen, als andere Muskeltypen. Was also liegt näher, als mich für Asthanga Yoga, den kraftvollsten, kraftmässig herausforderndsten Yogastil zu interessieren? Nichts natürlich.

Fortan sah man mich nur noch waghalsige Videos von Handstandvariationen und anderen Kraftakten schauen, wehmütig blickend und im Kopf die Jahre kalkulierend, die es bräuchte, dahin zu kommen - feststellend, dass es wohl keine Jahre, sondern mehrere Leben wären. Ich haderte dann eine Weile mit dem Schicksal, fand es ach so unfair, dass ich nicht so kräftig gebaut bin wie die demonstrierenden (und wirklich wundervollen) Yogis aus den Videos, und ignorierte dabei, dass mir der Stil eigentlich auch sonst gar nicht entspräche, da er für meinen kreativen Geist zu strikt, zu festgelegt, zu wenig persönlich ist. Statt also zu sehen, dass ich einfach ein anderer Typ Mensch bin mit anderen Fähigkeiten und auch Bedürfnissen an meinen Yogastil, konzentrierte ich mich darauf, was mir fehlte, genau diesen auszuüben. Statt mich mit Freude dem zuzuwenden, in dem ich gut bin, haderte ich mit meinen Schwachstellen. Eigentlich schade.

Noch ein Beispiel? Beispiel:
Ich hatte die Möglichkeit, eine Woche ans Meer zu fahren, für quasi nichts, hätte da eine Woche lang Yoga bei vegetarischer Vollpension geniessen können und Ferienfeeling auskosten. Ich, die ich immer Meerbilder anhimmle, die ich immer denke "da will ich auch mal hin", wenn ich Ferienfotos sehe. Und ich, die ich, wenn es hart auf hart kommt, nie weg will, weil mir verreisen eigentlich meist zu viel Stress ist und es dazu noch sehr viel zu organisieren gäbe. Ich haderte also mit meinem ach so komplizierten Wesen, welches nicht verreisen mag, welches diese Chance nicht packt, die jeder gerne hätte, verfluchte meine Art, entschuldigte meine Absage vor Freunden mit meinem komplizierten Wesen, der Abneigung gegen sture Strukturen, wie sie auf dem Retreat geherrscht hätten. Und fühlte mich dabei immer schlechter. Bis ich aufgeweckt wurde (Merci an dieser Stelle!). Bei Lichte betrachtet: Was hätte mir der Retreat gebracht? Ich kannte weder die Yogalehrerin, hätte mühselig Vertretungen für meine Stunden organisieren müssen, den Flug selber zahlen für eine Woche, die ich eigentlich so nicht wirklich für mich nutzen könnte. Worüber genau haderte ich also? Wieder über meine mir zugesprochenen Schwächen und Fehler. Ich erachtete mich als zu unflexibel, zu wenig ferienfreudig, als komisch, weil ich nicht himmelhochjauchzend im Hinblick auf eine Meerreise war(dass ich eigentlich auch fast lieber in den Bergen bin als am Meer hatte ich noch nicht erwähnt?). Dass eigentlich gute und rationale Gründe gegen die Reise sprachen, habe ich dabei völlig ausser Acht gelassen.

Und schliesslich und endlich: wieso denke ich ständig, ich müsse so sein wie andere? Wieso denke ich, wenn ich etwas nicht mag, das man - gemeinhin - mag, dass ich dann komisch, weniger liebenswert, weniger gut bin? Bin ich nicht gut, wie ich bin? Genau so? Eigentlich finde ich ja schon. Genau so. Wie jeder andere auch genau so gut ist. Auf seine eigene Weise. Mit seinen Stärken und Schwächen. Mit seinen Vorlieben und Abneigungen. Wenn ich etwas nicht mag, heisst das nicht, dass es nicht gut ist. Wenn jemand anders etwas mag, heisst das auch nicht, dass es gut ist. Er mag es, ich nicht. Punkt. Und beide sind wir gut und es ist, was es ist. Ein Ding. Wir machen es gut oder schlecht, indem wir es bewerten. Und wir haben die Wahl, wie wir die Bewertung vornehmen. Und damit auch die Wahl, wie wir uns fühlen dabei.

Das erinnert mich an meine heutige Zensho-Lektüre, welcher sagte, dass Leiden nicht von aussen kommt, sondern immer von innen. Was wir denken steuert, was wir fühlen. Wir machen unsere Welt und wir haben die Wahl. Es ist die Art, wie wir auf die Dinge reagieren, es sind nie die Dinge an sich, welche zu den Gefühlen führen.

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