Montag, 17. Oktober 2011

Von Gefühlen und anderen Wahrheiten

"Höre auf deinen Bauch, er wird dir sagen, was richtig ist!" sagt eine altbekannte Weisheit. Doch: was sagt mein Bauch? Wie sagt er es? Wie höre ich es? Und wie weiss ich, dass es mein Bauch ist, der spricht, dass es nicht die Leber, Niere oder gar eine verinnerlichte Stimme einer Angst, eines andern ist? Was kann ich trauen? Was soll ich folgen?

Und: wenn ich schon solche Probleme habe, mir selber zu trauen, wie kann ich das einem andern? Wie weiss ich, ob er wirklich meint, was er sagt oder nur sagt, was er denkt, dass ich es hören will? Wann ist eine Aussage seine Bauchstimme und wann nur leeres Gerede? Und selbst wenn er sagt, was er fühlt, wer sagt, dass es andauert? Nicht eine Stimme des Moments ist? Was, wenn was heute noch wahr ist, morgen schon Schnee von gestern ist? Eine schöne Erinnerung, etwas, das mal war, nicht mehr ist?

Lebe im Jetzt, schau nicht zurück und nicht nach vorne. Nur das jetzt ist, alles andere ist blosse Illusion. So oder ähnlich sagt es die östliche Philosophie. Das klingt schön und einleuchtend. Ist es die Wahrheit? Oder gilt diese Wahrheit nur im Osten? Vielleicht geboren aus der Not, dass man da aus Gründen von Krieg, Armut, Knappheit an Gütern besser nicht nach vorne schaut, da dieser Blick Unglück verheisst? Oder ist es aber das einzig Richtige, da wir sowieso nur das Jetzt erfahren können, das Morgen nie so sein wird, wie wir es uns ausmalen, da das Ausmalen nur eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, keine wirkliche Prophezeihung ist. Nun ist in der Philosophie alles Wissen Wahrscheinlichkeit, da wirkliches Wissen kaum möglich ist. Selbst in den genausten Wissenschaften wird gestriges Wissen immer wieder überworfen und heute gilt ein anderes. Also war das gestrige Wissen, das, was gestern als wahr und richtig erschien, kein Wissen, sondern eine Annahme mit grösstmöglicher Wahrscheinlichkeit - aufgrund des Standes von damals. Und genau so ist das, was ich heute höre von jemandem, das, was dieser heute denkt, dass es wahr ist - im besten Falle, von Lügen wollen wir ein anderes Mal sprechen. Was aber, wenn morgen eine andere Wahrheit wahr ist? Klar kann ich das nicht ändern, selbst wenn ich heute daran denke, dass es so sein könnte und mir damit schon das Heute kaputt mache. Vielleicht denke ich auch daran, um im glücklichen Heute nicht zu sehr abzuheben - dann wäre der Fall im anderen Morgen nicht so gross. Vielleicht habe ich auch nur Angst? Aufgrund von vergangenen Erfahrungen? Vielleicht hoffe ich so sehr, dass das wahr ist, was ich höre, weil ich will, dass es wahr ist, weil ich das, was ich höre, so gerne hören wollte und nun, da ich es höre, nicht mehr loslassen möchte?

Nun könnten wir den Bogen weiter spannen zur Aussage, dass man alles loslassen soll, weil nur dann das Leiden ein Ende hat und alles Verhaftetsein ins Leiden führe. Das wäre dann eine Yogaphilosophie. Und so fliegen wir von Philosophie zu Philosophie, hören in uns hinein und wieder hinaus in die weite Welt der Philosophien, bilden unsere eigenen Philosophien, um sie wieder zu verwerfen, hören wieder in uns hinein, was wir denn nun denken, glauben, hoffen. Und sind am Schluss wieder da, wo wir vorher waren, weil wissen tun wir nichts - wir können nur warten und hoffen und sehen, was da kommen möge - und wie es sich anfühlt. Und: dann auf unseren Bauch hören, was der dazu sagt. Und vermutlich - oder sehr wahrscheinlich - wird der Kopf auch noch was dazu sagen und schon haben wir sie wieder, die Stimmen, die wild durcheinander sprechen. Allerdings scheine ich nicht alleine damit, diese Stimmen hörten schon andere und haben sie sogar in Gedichte verpackt. Danke Herr Fried, für das wohl wahrste Liebesgedicht, das ich kenne.

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