Sonntag, 22. Januar 2012

Gespräch der Zwillinge

Kürzlich las ich eine Geschichte, die mich berührte. Hier die freie Nacherzählung der Geschichte von Henry Nouwen:

Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch der Mutter.
„Sag’ mal, glaubst Du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?“ fragt der eine Zwilling.
„Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden für das, was draußen kommen wird, vorbereitet“, antwortet der andere Zwilling.
„Ich glaube, das ist Blödsinn!“ sagt der erste. „Es kann kein Leben nach der Geburt geben – wie sollte das denn bitteschön aussehen?“
„So ganz weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?“
„So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz.“
„Doch, es geht bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders.“
„Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen nach der Geburt. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende, Punktum.“
„Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere Mutter sehen werden, und sie wird für uns sorgen.“
„Mutter???? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?“
„Na hier – überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!“
„Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht.“
„Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt.“

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Wenn wir die hergebrachten Vorstellungen loslassen und darauf vertrauen, dass mehr existiert als das, woran wir haften, wird das Leben freier und damit entspannter, glücklicher. Erst wenn wir das Haften am Leben loslassen können, wird es erst lebenswert und kein von Angst geprägtes Dasein, welches in allem, was wir tun, die Angst vor dem Ende in sich trägt. Denn wer weiss: vielleicht ist das Nachher viel wunderbarer? Grösser? Vielleicht sind wir erst in der Vorbereitung auf diese nächste Stufe? Wissen tun wir es nicht, aber der Gedanke, dass wir nur ein Teil eines grosssen Ganzen sind, dass wir selber ewig sind in diesem Ganzen, gibt dem Leben ein Stück Gelassenheit. Und Frieden.

Die Welle fragte den Ozean: "Wer bin ich?" - Der Ozean antwortete: "Du bist ich?" Und genau so sind wir zwar einzelne Wellen, aber als solche Wellen immer Teil des Ganzen. Und fühlen ab und an das sanfte Streicheln und die wärmende Hand.

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