Montag, 30. Januar 2012

Wo sind meine Grenzen?

Als ich noch relativ frisch auf meinem Yogaweg war, musste ich feststellen, dass ich trotz einer sehr grossen Beweglichkeit Dinge nicht so hinkriegte, wie ich sie gerne gehabt hätte. Mein Rücken war das grösste Sorgenkind, durch eine leicht verschobene Wirbelsäule und heraustretende Lendenwirbel entsprach er nicht dem Rücken, den ich in den Stellungen gerne gehabt hätte. Während ich schon damals in der Theorie lernte, die Grenzen des Körpers zu achten, sich nicht gewaltsam in Stellungen zu quälen, den Körper zu schonen und gesund zu halten, habe ich in der Praxis alles ignoriert und gedrückt und gepresst, um ja diesen Rücken grad zu kriegen. Das ging auf Kosten des Muskelansatzes des Hinteren Oberschenkelmuskels (Hamstring), der sich entzündete - und nie mehr ganz heilte. Mein Bein ist seit da meine Erinnerung an eine schmerzhafte und nachhaltige Lehre - im Körperbereich. Ich erlebe diesen Ehrgeiz leider oft im Yogaraum, versuche dagegen anzureden. Der Leistungsdruck ist allerdings tief in den Köpfen verankert, es braucht Zeit, durch diese dichten Wolken durchzudringen und ich hoffe stets inständig, dass niemand die schmerzhafte Lehre mitnimmt nach Hause, die ich selber auf mich nehmen musste, um es zu erkennen. (Und erkannt zu haben hilft nicht immer, immun zu sein)

Grenzen gibt es aber nicht nur im Körper, sie sind auch im übrigen Leben allgegenwärtig: man stösst an die Grnezen der Kraft, wenn man sich zu viel auflädt, nicht auch mal nein sagen kann, man stösst an die Grenzen der Nerven, wenn kleine Kinder nie gehorchen wollen, nur herausfordern (tut meiner natürlich nie) und auch sonst igrnoriert man die eigenen Grenzen gerne mal, geht darüber hinweg und kriegt meist auf irgend einer Ebene die Rechnung dafür.

Grenzen sind wichtig. Sie sind Zeichen unseres Körpers und unseres Geistes: Bis hier hin und nicht weiter. Diese Grenzen sind variabel. Was heute geht, kann morgen nicht gehen. Und so wie ich mich heute über die erweiterten Grenzen freuen kann, sollte ich morgen die engeren Grenzen respektieren und mich danach verhalten. Der Mensch ist keine Maschine, die immer höher, schneller, besser sein muss, ungeachtet der Tagesform. Er ist kein Roboter, der auf eine spezielle Leistung gepolt ist, die er dann immer erreichen muss und kann. Komischerweise gelingt es uns leichter, zu akzeptieren, wenn wir mal weitere Grenzen haben als wenn sie enger sind. Wir fühlen uns in unserem Selbstwert besser, wenn wir mehr leisten, als wir schon einmal leisteten. Leistungserhalt ist immerhin noch gut, Abnahme wird bekämpft und nagt am Selbstwert.

Bin ICH wirklich weniger wert, nur weil ich heute eine Stellung schaffe, morgen nicht? Bin ich wirklich mehr wert, wenn ich die Agenda voll habe, verplant bin, mehr schaffe, als eigentlich rein geht? Und wieso habe ich das Gefühl? Wieso identifiziere ich mich so sehr mit dem, was ich erreiche, statt zu sehen, wer ich bin? "Wer" will das erreichen? Wirklich ich? Und wo mangelt es einem, wenn man diese Bestätigung sucht im aussen, sie braucht, um an den eigenen Wert zu glauben? Ich sage damit nicht, dass man keine Ziele haben soll, nicht an seine Grenzen gehen wollen soll. Im Gegenteil: man soll seine Grenzen suchen, ausloten, hinhören, wo sie sind. Man kann mit diesen Grenzen spielen, schauen, was geht, was möglich ist, aber auch eingestehen, wo es nicht möglich ist, wo die Grenze gesetzt ist und so stehen bleiben muss. Weil man heute an der Stelle steht, wo man ist. Und morgen ist ein anderer Tag, wer weiss, vielleicht geht es besser. Dabei ist nie wichtig, wo der Nachbar seine Grenze hat, wie tief er in eine Stellung kommt, wie viel er unternimmt, macht, kann. Wichtig sind wir selber und unsere eigenen Grenzen. Es ist nicht der Nachbar, der nachher leidet, wenn die eigenen Grenzen überschritten sind, das sind wir selber.

Indem wir selber auf uns und unsere Grenzen achten, zeigen wir uns selber, dass wir es wert sind, achtsam behandelt zu werden. Wenn wir ständig unachtsam mit uns umgehen, sprechen wir uns unseren Wert ab. Wie wollen wir von anderen dann erwarten, dass sie uns als wertvoll sehen und behandeln? Unser Wert kommt von uns selber. Nur wir können ihn uns selber zugestehen. Und indem wir uns als liebenswert erachten und liebevoll mit uns umgehen, werden auch die anderen Menschen uns so sehen und behandeln. Sei es dir wert!

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