Dienstag, 29. Mai 2012

Ode an die Belanglosigkeit

Ein Wort ist ein Wort. Das war einmal, wie mir scheint. Floskeln nehmen überhand. Dass man fragt, wie es einem geht, ohne es eigentlich wissen zu wollen, ist schon lange nichts mehr Neues. Im Englischen wird es schon synonym für "Hallo" verwendet, im Deutschen sind wir nahe dran. Der Trend scheint weiter zu gehen und in allen Bereichen des alltäglichen Miteinanders Fuss zu fassen.

"Wir müssen uns bald mal wieder treffen!" heisst bei Weitem nicht, dass man den anderen bald mal sehen wird, geschweige denn was von ihm hören wird. Es klingt nett, es ist vielleicht sogar so gemeint in dem Moment, ein bisschen zumindest, aber schliesslich und endlich doch eher nur so daher gesagt. Wozu eigentlich? Wieso erzählt man jemanden, ihn treffen zu wollen, wenn man das gar nicht wirklich vor hat? Denkt man, dem anderen damit einen Gefallen zu tun? Denkt man, so eine gute Tat für den Moment zu tun, egal, dass diese bei Nichteinhaltung zerstört wird? Denkt man, der andere hätte eine so dahergesagte Floskel so dringend nötig? Das wäre schon fast überheblich. Aber vermutlich ist es pure Gedankenlosigkeit. Nachdenken? Überholt. Sprache wird nicht mehr bewusst verwendet, sondern gewohnheitsmässig dahergeplappert. Oft hört man selber nicht mal mehr, was man wirklich genau sagt. Alles Automatismus.

Vielleicht ist das ein Zeichen der Zeit. Eine Zeit, die selber immer schneller und haltloser wird. Was früher fürs Leben gedacht war, reicht heute höchstens für Abschnitte davon. Was früher verbindlich war, ist höchstens noch Wahrscheinlichkeit. Der einzelne Mensch fühlt sich selber haltlos und kann aus dieser Haltlosigkeit heraus keine eigenen Verbindlichkeiten mehr aufbauen. Er versucht, innerlich frei zu bleiben, um so jeder Eventualität gewachsen zu sein. Er sieht das Leben mit den vielen Änderungen und sorgt vor. Jedes eigene Festlegen wäre dabei eine Statik, die man nicht zu tragen wagt. Weil man sich selber offenbaren würde dabei in einem grossen Nebel von Ungewissheit. Weil man damit eine Stellung beziehen würde, die man nicht sicher halten kann. Und nie weiss, wie lange sie überhaupt haltbar ist. Lieber auf der sicheren Seite bleiben. Alles offen lassen. Sich nicht festlegen. Mal sehen, was kommt. Notfalls kann man noch einlenken. Und so wird aus dem "Wir sehen uns mal!" ein "Alles ist möglich!" Leider verliert so das Wort auch die Bedeutung. Und damit endet Kommunikation irgendwann im Sumpf der Inhaltslosigkeit. Zurück bleiben blosse Buchstabenhülsen, deren Meinung so weit ist, dass sie nicht mehr fassbar ist.

Was in dem Ganzen auch mehr und mehr abnimmt sind Werte wie Vertrauen, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit - und allen voran Anstand und Respekt dem anderen gegenüber. Da die Welt oft Spiegel ist, darf man sich dann aber auch nicht wundern, wenn man in dem Ganzen immer haltloser wird, da andere genauso handeln, sich den eigenen Gepflogenheiten anpassen. Und so gehen immer mehr Menschen als Individualisten ohne echte Bindungen durchs Leben, halten diesen Wandel als grösstmögliche Freiheit hoch und sehen nicht, wie viel Leere sie damit in und um sich aufbauen. Schliesslich und endlich ist und bleibt der Mensch ein soziales Wesen. Nicht nur  Säuglinge überleben nicht, wenn ihnen keine Liebe und Zuneigung entgegengebracht wird, das zieht sich bis ins Erwachsenenalter hinein. Jeder Mensch verkümmert langsam, wenn er einsam durchs Leben geht. Nicht einsam ist man nicht in grosser Gesellschaft, sondern in wahrer. Verschliesst man sich dieser, bleibt Einsamkeit - selbst im grössten Getümmel.

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